Pendergast 01 - Relic - Museum der Angst
und wurden von den Kiribitu für ihre religiösen Zeremonien verwendet; andere waren Arzneipflanzen, die möglicherweise einen hohen Wert für die moderne Medizin besaßen.
Sie nahm die erste Pflanze mit zwei Pinzetten und trennte mit einem Skalpell die oberste Spitze eines Blattes ab. Diese zerrieb sie dann in einem Mörser zusammen mit einem milden Enzym, das die Zellulose und die Zellkerne auflösen und die DNS freisetzen sollte. Margo arbeitete zügig, aber sorgfältig, bis sie den in einer Zentrifuge ausgeschleuderten Pflanzen-Enzym-Brei titriert hatte. Dann wiederholte sie den Vorgang mit den anderen Pflanzen.
Danach mußte die Substanz zehn Minuten lang zentrifugiert werden, und während die Zentrifuge in ihrem Gehäuse aus grauem Metall vor sich hin rotierte, lehnte Margo sich zurück und ließ ihre Gedanken schweifen. Sie fragte sich, wie Smithback wohl mit seiner neuen Rolle als Paria des Museums zurechtkommen würde. Sie fragte sich weiterhin, mit einem kleinen Anflug von Furcht, ob Mrs. Rickman wohl schon das Fehlen des Tagebuchs bemerkt hatte. Dann dachte sie über das nach, was Jorgensen gesagt hatte, und über Whittleseys Beschreibung seiner letzten Tage auf dieser Welt. Sie stellte sich vor, wie die alte Kothoga-Frau mit einem faltigen Finger auf die Figur in der Kiste deutete und Whittlesey vor dem Fluch warnte. Margo meinte, die Szene direkt vor sich sehen zu können: Die von Ranken überwachsene Hütte, die Fliegen, die im Sonnenlicht herumschwirrten. Wo war die Frau wohl hergekommen? Und dann stellte Margo sich vor, wie Whittlesey tief durchatmete und zum ersten Mal die düstere, geheimnisvolle Hütte betrat –
Einen Moment mal,
dachte sie. In dem Tagebuch war gestanden, daß sie vor dem Betreten der Hütte die alte Frau gesehen hätten. Und aus dem Brief im Deckel der Kiste ging klar hervor, daß Whittlesey die Figur
in
der Hütte gefunden hatte. Die aber hatte er erst betreten, nachdem die alte Frau weggelaufen war. Die Frau konnte also nicht die Figur gemeint haben, als sie auf die Kiste deutete und schrie, daß Mbwun dort drinnen sei.
Sie mußte auf etwas anderes gezeigt und es Mbwun genannt haben!
Niemandem war das bisher aufgefallen, denn bisher hatte ja auch niemand – außer ihr, Smithback und Jorgensen – Whittleseys Brief gelesen. Aufgrund der Beschreibung in Whittleseys Tagebuch hatte jedermann angenommen, daß mit Mbwun die Figur gemeint gewesen sei.
Aber sie hatten sich geirrt. Mbwun, der
wirkliche
Mbwun, war gar nicht diese Figur. Was hatte die Alte noch mal genau gesagt?
Jetzt ist weißer Mann gekommen und nimmt Mbwun mit. Nehmt euch in acht, Mbwun wird den weißen Mann zerstören! Ihr bringt eurem Volk den Tod!
Und genau das war dann auch geschehen. Der Tod war ins Museum gekommen. Aber was in der Kiste konnte die alte Frau gemeint haben?
Margo holte ihr Notizbuch aus der Umhängetasche und schrieb sich rasch eine Liste von den Dingen, die sie am Tag zuvor in der Kiste gefunden hatte:
Pflanzenpresse mit Pflanzen
Blasrohr mit Pfeilen
Scheiben mit eingeritztem Muster
Lippenschmuck
Fünf oder sechs Tongefäße mit eingelegten Fröschen oder Salamandern (glaube ich wenigstens)
Vogelbälge
Pfeil- und Speerspitzen aus Feuerstein
Schamanenrassel
Decke
Sonst noch was? Margo wühlte in ihrer Handtasche herum und legte die Pflanzenpresse, die Scheibe und die Schamanenrassel vor sich auf den Tisch.
Die beschädigte Rassel war interessant, aber nicht gerade ungewöhnlich. Margo hatte mehrere, wesentlich exotischere Exemplare in der Aberglaube-Ausstellung gesehen.
Die Steinscheibe war da schon geheimnisvoller. Die eingeritzte Szene zeigte Menschen, die um einen See standen und sich vornüberbeugten. Manche von ihnen hatten Pflanzen in der Hand, andere Körbe auf dem Rücken. Recht seltsam, aber dennoch schien die Scheibe kein ausgesprochenes Kultobjekt zu sein.
Margos Liste war nicht sehr hilfreich. Nichts in der Kiste sah auch nur im entferntesten wie ein Teufel aus oder wie etwas, was der alten Frau einen solchen fürchterlichen Schrecken hatte einjagen können.
Sorgfältig schraubte Margo die kleine Pflanzenpresse auf und entfernte die von Schrauben und Sperrholzbrettern zusammengehaltenen Löschpapierblätter. Vorsichtig nahm sie das erste davon ab.
Darunter lagen ein Pflanzenstengel mit mehreren Blüten. Margo hatte so eine Pflanze zwar noch nie vorher gesehen, sie kam ihr aber auf den ersten Blick nicht besonders aufregend vor. Unter den folgenden
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