Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
erkennen. Obwohl Trumbull erst fünfundzwanzig Jahre alt war, machte er schon hunderttausend Riesen im Jahr. Seine ehemaligen Kommilitonen würden ganz schön blöd aus der Wäsche gucken, wenn er ihnen das auf dem Treffen nächste Woche erzählte. Die meisten von ihnen krebsten im unteren Management herum und verdienten, wenn es hoch kam, vielleicht gerade mal die Hälfte.
Da war sein Job als Broker an der Wall Street schon was anderes!
Laut schwatzend und lachend gingen Trumbull und seine Kollegen durch die Drehkreuze am U-Bahnhof Fulton Street.
Es war kurz nach Mitternacht, und sie hatten eben auf der Seaport Pier opulent zu Abend gegessen, eine Menge von dem hervorragenden, direkt im Lokal gebrauten Bier getrunken und sich ausgemalt, wie reich sie alle eines Tages werden würden.Jetzt, auf dem Nachhauseweg, waren sie in Höchststimmung und rissen laute Witze über einen trotteligen neuen Kollegen, der ihrer Meinung nach niemals die Probezeit überstehen würde.
Trumbull spürte einen warmen Windhauch und hörte das vertraute Rumpeln eines herannahenden U-Bahnzugs. Dann tauchten zwei kleine Lichtpunkte aus dem Tunnel auf, die rasch größer wurden. Trumbull wußte, daß er eine halbe Stunde brauchen würde, bis er zu Hause war, und ärgerte sich wieder einmal darüber, wie weit weg vom Zentrum seine Wohnung an der Ecke 98th Street und Third Avenue doch lag.
Vielleicht sollte er sich ja in nächster Zukunft etwas in der Innenstadt suchen, näher an der Wall Street. Einen Loft zum Beispiel, oder eine schöne große Wohnung mit drei Zimmern.
Soho wäre nicht schlecht, aber die East Side wäre noch besser.
In einem oberen Stockwerk mit Balkon. Ein großes Bett natürlich, dicker, eierschalenfarbener Teppichboden, viel Chrom und Glas ...
»... und dann sagt sie: ›Liebling, kannst du mir siebzig Dollar leihen?‹« Als seine Kollegen über einen obszönen Witz lauthals loswieherten, lachte Trumbull mit, obwohl er nichts davon mitbekommen hatte.
Mit einem lauten Rumpeln fuhr der Expreßzug in den Bahnhof ein. Einer seiner Kollegen schubste Trumbull zum Spaß in Richtung Bahnsteigkante, und der Jungbroker drehte sich wie ein Stierkämpfer vor der heranrasenden U-Bahn ab. Kaum war der Zug mit kreischenden Bremsen zum Stehen gekommen, drängten Trumbull und seine Kollegen in einen Wagen.
Trumbull setzte sich auf eine der abgewetzten Bänke und sah sich angewidert um. Schon wieder so ein Waggon, in dem die Klimaanlage nicht funktioniert, dachte er. Obwohl sämtliche Fenster weit offen waren und die abgestandene feucht-stickige Luft des Tunnels und den lauten Lärm des über die Gleise ratternden Zuges hereinließen, war es höllisch heiß. Trumbull lockerte seine Krawatte und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Er fühlte sich auf einmal ziemlich müde und spürte einen leichten Schmerz in seinen Schläfen. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, daß er in sechs Stunden schon wieder in seinem Büro sein mußte. Mit einem leisen Seufzer lehnte er sich zurück und war froh, daß die Lautstärke im Waggon keine Unterhaltung mehr zuließ. Erschöpft schloß Trumbull die Augen.
Nach und nach stiegen seine Kollegen aus, so daß schließlich nur noch er und Jim Kolb, ein Aktienhändler, der im Stockwerk unter Trumbull arbeitete, übrigblieben. Trumbull mochte Kolb nicht besonders und signalisierte ihm mit einem herzhaften Gähnen, daß er nun zu schlafen beabsichtigte. Der Zug raste auf dem Expreßgleis immer tiefer unter die Erde.
Im Halbschlaf bekam Trumbull mit, wie die U-Bahn in den Bahnhof 59th Street einfuhr, Fahrgäste aus – und einsteigen ließ und wieder beschleunigte. Noch eine Station, dachte er müde, dann bin ich zu Hause.
Auf einmal ging ein Ruck durch den Zug, der daraufhin heftig abbremste und schließlich mit lautem Kreischen zum Stehen kam. Jäh aus seinem dünnen Schlaf gerissen, setzte Trumbull sich irritiert auf und lauschte dem Knarren und Ticken der bewegungslosen U Bahn.
»So eine Mistlinie«, schimpfte Kolb und stieß Trumbull mit dem Ellenbogen in die Rippen. Der verdrehte nur die Augen.
Was war dieser Kolb doch für eine traurige Existenz.
Trumbull betrachtete die beiden anderen Passagiere im Waggon, eine hübsche Kellnerin und einen schwarzen Jungen, der trotz der Hitze eine dicke Jacke und eine gestrickte Wollmütze trug. Obwohl der Junge zu schlafen schien, traute Trumbull ihm nicht über den Weg. Der hat wohl genügend Leute für heute ausgeraubt und fährt jetzt nach Hause,
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