Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
Absperrungen der Polizei und den Kleinbussen der zahlreichen Fernsehteams sah Smithback lange Schlangen ärgerlich hupender Fahrzeuge.
Die hier versammelten Menschen, das stand für Smithback fest, repräsentierten die Macht und den Einfluß der wohlhabenden Bürgerschaft von New York City. Solche Leute gingen normalerweise nicht auf die Straße zum Demonstrieren. Daß sie es nun doch getan hatten, konnten weder der Bürgermeister noch der Polizeipräsident auf die leichte Schulter nehmen, noch irgendwer sonst, der in der Stadt politisch etwas ausrichten wollte.
Mrs. Horace Wisher stand vor dem auf drei mal drei Meter vergrößerten Kinderfoto ihrer Tochter Pamela auf einer großen Holzplattform, die ihre Helfer vor der vergoldeten Siegesstatue an der Kreuzung von Central Park South und der Fifth Avenue errichtet hatten. Ihre klar elektronisch verstärkte Stimme dröhnte aus vielen Lautsprechern zugleich.
»Wie lange?« fragte sie die vor dem Podium versammelte Menge. »Wie lange wollen wir es noch zulassen, daß diese unsere Stadt jeden Tag ein bißchen mehr stirbt? Wie lange wollen wir es noch tolerieren, daß man unsere Töchter und Söhne tötet, unsere Brüder und Schwestern, unsere Eltern und Großeltern? Wie lange wollen wir noch in ständiger Angst leben?« Sie blickte herausfordernd hinunter in die Menge, aus der ein empörtes Gemurmel zu ihr aufstieg.
»Meine Vorfahren kamen vor dreihundert Jahren in diese Stadt«, fuhr Mrs. Wisher in etwas ruhigerem Ton fort. »Seit damals, als New York noch New Amsterdam hieß, hat meine Familie hier ihr Zuhause. Und es war ein gutes Zuhause, bis weit in unser Jahrhundert hinein. Ich kann mich noch daran erinnern, daß ich als kleines Mädchen mit meiner Großmutter im Central Park spazierenging. Damals konnten wir Kinder auch nach Einbruch der Dunkelheit von der Schule allein nach Hause laufen, und niemand sperrte nachts seine Haustür ab. Diese Zeiten sind heute leider vorbei.«
Mrs. Wisher wartete, bis die zustimmenden Rufe der Demonstranten verebbt waren, und fuhr dann fort »Was ist nur mit NewYork geschehen? Warum hat niemand verhindert, daß sich Drogen und Verbrechen in dieser Stadt breitgemacht haben? Wie viele Mütter müssen denn eigentlich noch ihre Kinder verlieren, bis wir endlich sagen: ›Stopp! Bis hierher und nicht weiter!‹?«
Als Mrs. Wisher vom Mikrophon zurücktrat, um sich zu sammeln, brandete in der Menge wütendes Geschrei auf. Diese Frau ist eine geborene Rednerin, dachte Smithback, der alles mit seinem Diktiergerät aufzeichnete und schon wieder eine Titelgeschichte witterte.
»Die Zeit ist gekommen«, ließ sich nach einer kurzen Pause Mrs. Wisher erneutvernehmen, »um uns die Stadt zurückzuerobern, sie zurückzuerobern im Namen unserer Kinder und Enkelkinder. Und wenn wir dazu alle Drogendealer auf den elektrischen Stuhl bringen oder eine Milliarde Dollar in den Bau neuer Gefängnisse stecken müssen, dann ist das eben notwendig. Schließlich befinden wir uns mitten in einem Krieg, einem Krieg den das Verbrechen gegen uns führt. Und wenn Sie mir das nicht glauben, dann sehen Sie sich doch einmal die Kriminalstatistik dieser Stadt an. Eintausendneunhundert Morde hat es hier im vergangenen Jahr gegeben, das sind fünf Morde am Tag. Stellen Sie sich das einmal vor: Fünf Menschen sterben täglich hier in New York einen gewaltsamen Tod! Wenn das kein Krieg ist, meine Freunde! Und es ist ein Krieg, den wir verlieren werden, wenn wir nicht auf der Stelle mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, zurückschlagen. Wir müssen unsere Stadt vom Verbrechen säubern, und zwar Straße für Straße, Block für Block, vom Battery Park bis zu den Cloisters, von der East End Avenue bis zum Riverside Drive!«
Das wütende Geschrei war immer stärker angeschwollen, und Smithback bemerkte, wie die jüngeren Männer silberne Flachmänner und kleine Flaschen mit Whiskey kreisen ließen. Die Jungbanker trinken sich wohl Mut an, dachte er.
Auf einmal trat Mrs. Wisher auf dem Podium einen Schritt nach vorn und deutete in die Menge. Smithback folgte ihrem ausgestreckten Arm und sah, daß sich hinter einer der Absperrungen etwas tat. Eine große schwarze Limousine war vorgefahren, und der Bürgermeister, ein kleiner, halb kahler Mann im dunklen Anzug stieg aus und machte sich in Begleitung mehrerer Polizisten auf den Weg zum Podium. Offenbar hatte er die Größe der Demonstration zunächst unterschätzt und beeilte sich nun, den Leuten zu zeigen,
Weitere Kostenlose Bücher