Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
nicht, wen man uns als Ersatz schicken wird«, sagte er.
»Falls überhaupt jemand kommt. Aber ich bin mir sicher, daß es in Simons Sinn ist, wenn wir jetzt seine Arbeit fortsetzen.«
Frock war an der gegenüberliegenden Wand angelangt und schaltete das Licht ein. »Ich war schon immer der Meinung, daß Arbeit das beste Mittel gegen Trauer ist.« Nachdem er einige Sekunden geschwiegen hatte, stöhnte Frock leise vor sich hin, als müsse er sich zwingen, sich ans Werk zu machen.
»Wären Sie bitte so freundlich und würden mir Kadaver A aus dem Kühlschrank holen? Ich habe da eine Theorie über eine potentielle genetische Anomalie, die möglicherweise für seine Mißbildungen verantwortlich sein könnte. Oder würden Sie sich lieber den Tag freinehmen?« Frock hob fragend die Augenbrauen.
»Nein«, erwiderte Margo und schüttelte den Kopf. Frock hatte recht Brambell hätte bestimmt gewollt, daß sie weitermachten.
Langsam stand sie auf und ging quer durch den Raum, wo sie sich hinkniete und eine der untersten Schubläden eines großen Kühlschranks öffnete. Drinnen lag auf einer herausziehbaren Bahre das unidentifizierte Skelett, das jetzt, wo es auseinandergenommen und untersucht worden war, nur noch eine Serie von unregelmäßigen Buckeln unter der blauen Plane war. Margo hob die Bahre auf ein fahrbares Gestell und rollte sie in die Mitte des Raumes.
Frock entfernte die Plane und begann, die Handwurzelknochen mit einer elektronischen Schieblehre auszumessen. Margo, die ein merkwürdig unheimliches und beinahe schon irreales Gefühl hatte, ging an ihren Platz und besah sich eine Serie von Kernspin-Tomographenscans. Für eine Weile versank das Labor in tiefe Stille.
»Haben Sie eigentlich eine Ahnung, von welchem Hinweis Simon gestern gesprochen hat?« fragte Frock schließlich.
»Pardon?« Margo blickte auf. »Ach so. Nein. Er hat mit mir nie darüber geredet. Er hat mich damit gestern ebenso überrascht wie Sie.«
»Wie schade«, meinte Frock. »Soweit ich weiß, hat er auch keinerlei Aufzeichnungen gemacht, die uns darüber Aufschluß geben könnten.« Er schwieg wieder eine Weile, dann sagte er mit leiser Stimme: »Das wirft uns wirklich zurück, Margo. Möglicherweise werden wir nie erfahren, was er herausgefunden hat.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, sagte Margo. »Schließlich kann keiner voraussehen, daß er den nächsten Tag nicht erleben wird.«
Frock schüttelte den Kopf. »Simon war ein typischer Gerichts mediziner. Wirklich interessante, aufsehenerregende Fälle wie hier dieser sind selten, und wenn jemand wie Simon dann an einen gerät ... nun, dann kann er nicht anders, er muß sich in Szene setzen.« Er sah auf die Uhr. »Ach du meine Güte, jetzt hätte ich fast vergessen, daß ich gleich einen Termin in der Osteologie habe. Sagen Sie, Margo, könnten Sie vielleicht Ihre Arbeit für einen Augenblick beiseite legen und hier weitermachen? Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich komme einfach nicht weiter. Vielleicht ist es dieses tragische Ereignis, oder vielleicht habe ich einfach schon zu lang immer wieder dieselben Knochen angestiert. Es könnte sicher nicht schaden, wenn jemand anders sich der Sache annimmt und sie aus einem frischen Blickwinkel betrachtet«
»Aber gerne, Dr. Frock«, sagte Margo. »Wonach haben Sie genau gesucht?«
»Wenn ich das wüßte. Ich bin mir sicher, daß dieser Mensch an einer Erbkrankheit litt, und würde gerne die morphologischen Veränderungen quantifizieren, um herauszufinden, inwieweit hier eine genetische Aberration vorliegt. Leider bedeutet das, daß wir sämtliche Knochen an dem Skelett genau vermessen müssen. Ich dachte, ich fange am besten bei den Finger und Handgelenksknochen an, wo man, wie Sie jawissen, genetische Veränderungen zuerst feststellen kann.«
Margo sah hinunter auf das Skelett. »Aber das kann Tage dauern.«
Frock zuckte gereizt mit den Achseln. »Dessen bin ich mir nur allzu bewußt, meine Liebe.« Er griff an die Räder seines Rollstuhls und schob sich kraftvoll in Richtung Tür.
Ohne allzu große Begeisterung begann Margo damit, einen Knochen nach dem anderen mit der elektronischen Schieblehre zu vermessen und die Daten in den Computer einzuspeichern. Selbst die kleinsten Knochen mußten an einem guten Dutzend Stellen gemessen werden, so daß über den Bildschirm des Computers bald lange Reihen von Zahlen flimmerten.
Margo hatte schwer zu kämpfen, um sich nicht von der langweiligen Arbeit und der Grabesstille des
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