Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
seine Aktentasche und holte das Skalpell heraus, das er immer mit sich führte. Als er die Finger um den ergonomisch geformten Griff des Instruments schloß, wich zwar das Lächeln aus seinem Gesicht, aber wirklich beunruhigt war er nicht. Man hatte ihn schon mehrmals überfallen und ausgeraubt, einmal mit vorgehaltener Pistole, zweimal mit gezücktem Messer. Er wußte genau, wie er sich verhalten mußte.
Brambell blieb abrupt stehen und wirbelte, das Skalpell in der Hand, herum. Hinter ihm war niemand.
Erstaunt blickte er sich um, als er spürte, wie sich von der Seite her ein Arm um seinen Hals legte und ihn in die Dunkelheit zog. Es mußte ein Arm sein, dachte Brambell mit seltsamer Gleichgültigkeit, obwohl sich das Ding, das über eine unglaubliche Kraft verfügte, irgendwie kühl und glitschig anfühlte. Dann spürte er auf einmal, wie ihm etwas knapp unterhalb des Adamsapfels die Kehle aufritzte. Es war ein extrem merkwürdiges Gefühl, das Brambell nicht einordnen konnte.
22
Margo sperre die Tür zum Labor für Forensische Anthropologie auf und war erfreut, den Raum dunkel und verlassen vorzufinden. Zum erstenmal seit Tagen war es ihr gelungen, vor Dr. Brambell hier zu sein. Wenn sie sonst zur Arbeit erschien, saß er meistens schon auf seinem Laborhocker und nickte ihr zur Begrüßung über den Rand seiner Kaffeetasse weg zu. Dann machte er üblicherweise eine Bemerkung über den Museumskaffee, von dem er annahm, daß man ihn mit Formaldehyd aus der Tierkörper-Konservierungsabteilung zubereitet hatte. Manchmal war auch schon Dr. Frock da und hatte den Gerichtsmediziner in eines seiner höflich gedämpften Streitgespräche über irgendwelche Tabellen oder Untersuchungsergebnisse verwickelt.
Margo verstaute ihre Umhängetasche in einer Schublade ihres Schreibtisches und schlüpfte, während sie ans Fenster trat, in ihren Laborkittel. Die Morgensonne war über die Gebäude der Fifth Avenue gestiegen und tauchte die Stadt in ein warmgoldenes Licht. Margo schaute hinunter in den langsam erwachenden Park: Mütter mit Kindern auf dem Weg in den Zoo, Jogger, die um das langgestreckte Oval des Wasserreservoirs trabten. Beim Anblick der rötlichen Mauern von Belvedere Castle zuckte sie zusammen; schließlich hatte man hier auf der Herrentoilette den toten Nicholas Bitterman gefunden. Im Lauf des Vormittags würde man seine enthauptete Leiche aus der Gerichtsmedizin hierherbringen.
Die Tür ging auf, und Dr. Frock rollte durch das Halbdunkel des Labors zu Margo ins Sonnenlicht. Sie drehte sich um und wollte ihm einen guten Morgen wünschen, aber als sie seinen Gesichtsausdruck sah, hielt sie abrupt inne. »Dr. Frock, fehlt Ihnen etwas?« fragte sie.
Frock kam langsam auf Margo zu. Sein sonst so rosiges Gesicht sah blaß und mitgenommen aus. »Ich habe traurige Nachrichten für Sie, Margo«, sagte er mit leiser Stimme. »Heute früh habe ich einen Anruf bekommen. Simon Brambell wurde gestern nacht auf dem Nachhauseweg ermordet.«
Margo runzelte die Stim und amtete tief ein. »Dr. Brambell?« wiederholte sie ungläubig.
Frock nahm ihre Hand in die seine. »Es tut mir leid, daß gerade ich Ihnen die Nachricht überbringen muß, meine Liebe. Es war auch für mich ein Schock.«
»Wie konnte das passieren?« fragte Margo.
»Er wurde offenbar auf der 81st Street überfallen«, sagte Frock.
»Man hat ihm die Kehle durchgeschnitten. Mehr weiß ich auch nicht ...« Margo spürte, wie seine Hand zitterte.
Die Nachricht kam ihr irgendwie unwirklich vor, wie eine Art Alptraum. Sie konnte nicht glauben, daß der Mann, der noch gestern in der Linnaeus Hall vor der großen Leinwand gestanden war, seinen Laserzeiger wie ein Samurai-Schwert in der Hand, jetzt auf einmal tot sein sollte.
Frock seufzte tief »Vielleicht haben Sie es ja nicht mitbekommen, Margo, aber Simon und ich waren nicht immer derselben Meinung. Wir hatten unsere sachlichen Differenzen, das ist richtig, aber vor dem Menschen Brambell hatte ich immer den größten Respekt. Sein Tod ist ein schmenlicher Verlust für die Gerichtsmedizin und auch für unsere Arbeit, die noch dazu an einem kritischen Punkt angelangt ist.«
»Unsere Arbeit«, wiederholte Margo mechanisch. »Aber wer hat das getan?« fragte sie dann nach einer kurzen Pause.
»Es gibt keine Zeugen.«
Einen Augenblick verharrten sie am Fenster. Margo spürte immer noch Frocks warme beruhigende Hand auf der ihren.
Dann ließ er sie los und rollte langsam durch das Labor. »Ich weiß
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