Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
mitzuarbeiten?Sollen wir Miss Kelly selbst dazu befragen? Immerhin hat sie den Leichnam des dritten Opfers gefunden und wäre beinahe selbst das vierte Opfer geworden.«
Damit hatte er angedeutet, dass Nora Kelly im Zweifelsfall den Einlassungen des Ersten Vizepräsidenten widersprechen werde. Brisbane war in Bedrängnis geraten. Collopy, der neben ihm stand, starrte düster vor sich hin.
Brisbane schnaubte: »Ich habe nicht die Absicht, solche tendenziös gefärbten Fragen zu beantworten.«
»Mr. Smithback«, warf Mary Hill in ätzendem Tonfall ein, »sind Sie bereit, Ihre Monopolisierung der Pressekonferenz zu beenden? Die Morde aus dem neunzehnten Jahrhundert haben absolut nichts mit den Morden zu tun, von denen New York derzeit heimgesucht wird – wenn man von der Vorbildwirkung absieht.«
»Und woher wollen Sie das wissen?«, rief Smithback im Bewusstsein seines endgültigen Triumphs.
Der Bürgermeister ergriff das Wort. »Wollen Sie etwa andeuten, dass Dr. Leng noch lebt und seine Mordserie fortsetzt?«
Schallendes Gelächter ringsum.
»Keineswegs, aber …«
»Dann schlage ich vor, dass Sie endlich wieder Platz nehmen, Mr. Smithback.«
Smithback setzte sich. Und dann dämmerte ihm, dass er Nora womöglich erneut in Schwierigkeiten gebracht hatte. Was sie ihm, wie er sich leicht ausrechnen konnte, bestimmt übel ankreiden würde.
2
Die Doyers Street war eine kurze, schmale Gasse voller Schlaglöcher am Südostrand von Chinatown. Die Tee- und Lebensmittelläden, über deren Schaufenstern helle Neonleuchtenmit chinesischen Schriftzeichen prangten, lagen am anderen Ende der Gasse, hier dagegen war alles in Dunkel getaucht. Düstere Wolken ballten sich am Himmel, der Wind trieb Papierschnitzel und Laub vor sich her, in der Ferne grollte Donner, ein Sturm kündigte sich an.
O’Shaugnessy und Nora Kelly blieben am Eingang der Gasse stehen. Nora hätte nicht genau sagen können, ob das Zittern, das sie überlief, von der Kälte oder von ihrer Angst kam.
»Nummer neunundneunzig liegt ungefähr in der Mitte«, sagte O’Shaugnessy mit verhaltener Stimme, »der braune Ziegelsteinbau. Sind Sie sicher, dass ich nicht doch mitkommen soll?«
Nora schluckte. »Ich glaube, es ist besser, wenn Sie hier bleiben und die Straße im Auge behalten.«
O’Shaugnessy nickte und zog sich in eine dunkle Toreinfahrt zurück. Nora holte noch einmal tief Luft, dann ging sie los. Der versiegelte Umschlag mit Banknoten, den Pendergast ihr mitgegeben hatte, fühlte sich in ihrer Handtasche auf einmal wie eine bleierne Last an. Ein Schaudern lief ihr über den Rücken, als sie tiefer in die dunkle Gasse eindrang. Es kostete sie Mühe, sich gegen das Gefühl zu wehren, dass sie ihr Schicksal geradezu herausfordere.
Seit dem brutalen Mord an Puck und der Attacke gegen sie war alles anders geworden. Sie wusste jetzt, dass sie es keineswegs nur mit irgendeinem Psychopathen zu tun hatten. Der Täter hatte alles sorgfältig geplant, Pucks alte Royalschreibmaschine dazu benutzt, sie mit einer falschen Nachricht in die Tiefen des Archivs zu locken, und sich die ganze Zeit mit erschreckender Kaltblütigkeit an ihre Fersen geheftet. Sie hatte seine physische Nähe gespürt, ihn sogar atmen gehört und schließlich Bekanntschaft mit der Klinge seines Skalpells gemacht. Das war nicht irgendein Irrer, er wusste genau, was er tat und warum er es tat. Es musste einen rätselhaften Zusammenhang zwischen den alten und den neuen Mordengeben, aber was auch hinter dem Rätsel stecken mochte, das Morden musste aufhören. Wenn sie irgendetwas – egal, was – dazu beitragen konnte, war sie bereit, es zu tun.
Die Antworten lagen unter dem Fußboden von Doyers Street Nummer neunundneunzig verborgen, und sie würde sie finden.
Sie konnte die entsetzliche Jagd durch das Gewölbe des Archivs nicht vergessen – und erst recht nicht den Augenblick, als der Schattenmann zugestoßen hatte, schneller, als eine Schlange zubeißt. Danach die endlosen Fragen der Polizei und anschließend ihr erneuter Besuch an Pendergasts Krankenbett, bei dem sie ihm gesagt hatte, dass sie, was die Doyers Street angehe, ihre Meinung geändert habe. Der Agent war wegen des Überfalls auf sie besorgt gewesen, aber Nora hatte sich ihr Vorhaben nicht ausreden lassen. Und so war Pendergast zu guter Letzt widerstrebend einverstanden gewesen, allerdings unter der Bedingung, dass O’Shaugnessy keinen Augenblick von ihrer Seite wich und sie das Bündel Geld mitnahm, das er ihr am
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