Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
Damen und Herren von der Presse, unsere Stadt wird, ihrer Größe und ethnischen Vielfalt wegen, von Zeit zu Zeit von Serienmördern heimgesucht. Zum Glück sind wir viele Jahre lang von dieser Plage verschont geblieben. Nun aber haben wir es offensichtlich wieder mit einem echten Psychopathen zu tun. Innerhalb einer Woche wurden drei Menschen ermordet, und zwar auf besonders brutale Weise. Während unsere Stadt sich bisher dank des entschlossenen Durchgreifens unserer Polizeikräfte und der Verfolgungeiner Nulltoleranzdoktrin, der niedrigsten Mordrate aller Großstädte in unserem Land erfreuen durfte, sehen wir uns jetzt gleich mit drei Mordfällen konfrontiert. Ich habe diese Pressekonferenz einberufen, um die Öffentlichkeit über die entschlossenen und effektiven Anstrengungen zu unterrichten, die wir zur Ergreifung des Täters eingeleitet haben, und um Ihnen Fragen zu beantworten, die Sie möglicherweise angesichts der spektakulären Begleitumstände dieser Morde haben. Wie Sie wissen, sehe ich in der Offenheit immer eine vordringliche Pflicht meiner Administration. Daher habe ich Police Commissioner Karl Rocker und Captain Custer vom siebenten Distrikt sowie Dr. Collopy und seinen Ersten Vizepräsidenten Brisbane vom New York Museum of Natural History gebeten, an der Pressekonferenz teilzunehmen. Bevor Miss Hill um Fragen bittet, möchte ich Commissioner Rocker Gelegenheit zu einer kurzen Lagebesprechung geben.«
Karl Rocker trat ans Mikrofon.
»Danke, Herr Bürgermeister.« Und dann fuhr er in seiner gewohnt gelassenen, staubtrockenen Art fort: »Letzten Donnerstag wurde im Central Park die Leiche einer jungen Frau namens Doreen Hollander entdeckt. Sie war ermordet worden, und zwar durch eine am unteren Teil des Rückgrats vorgenommene Sektion – einem ungewöhnlichen chirurgischen Eingriff. Noch während der gerichtsmedizinischen Autopsie und deren Auswertung wurde eine zweite junge Frau, Mandy Eklund, im Tompkins Square Park tot aufgefunden. Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass die Todesursache ebenfalls ein gewaltsamer chirurgischer Eingriff war, ähnlich wie im Fall Doreen Hollander. Und gestern wurde im Zentralarchiv des New York Museums die Leiche eines vierundfünfzig Jahre alten Mannes namens Reinhart Puck gefunden, sein Körper zeigte dieselben Verstümmelungen wie bei den beiden ersten Opfern.«
Hände schossen in die Höhe, die Anwesenden riefen durcheinanderund gestikulierten wild. Der Commissioner gebot dem Tumult mit erhobenen Händen Einhalt.
»Wie Sie wissen, wurde in dem bereits erwähnten Archiv kürzlich ein Brief entdeckt, in dem von einem Massenmörder des neunzehnten Jahrhunderts die Rede ist. In diesem Brief werden dieselben Verstümmelungen beschrieben. Sie wurden vor einhundertzwanzig Jahren unter dem Vorwand wissenschaftlicher Experimente von einem gewissen Dr. Leng in Lower Manhattan ausgeführt. Die auf einer Baustelle an der Catherine Street gefundenen sterblichen Überreste von sechsunddreißig Menschen lassen den Schluss zu, dass Dr. Leng seinen abartigen Experimenten dort nachgegangen ist.« Wieder erregte Rufe, diesmal griff der Bürgermeister persönlich ein.
»Letzte Woche erschien in der
New York Times
ein Artikel über den erst jüngst aufgefundenen Brief. Darin wurde nicht nur die Art der Verstümmelungen, die Leng an seinen Opfern vorgenommen hat, sondern auch das Motiv des Mörders detailliert beschrieben.«
Montefioris Blick suchte die Stuhlreihen ab und hakte sich schließlich an Smithback fest. Der Journalist verspürte eine warme Welle wohligen Stolzes. Sein Artikel!
»Der Artikel scheint eine unheilvolle Wirkung gehabt zu haben. Offenbar hat er einen unter uns lebenden Psychopathen dazu angeregt, sich die alten Mordfälle zum Vorbild zu nehmen und Leng nachzueifern.«
Was war denn nun los? Smithbacks selbstgefälliges Grinsen gefror zur Maske.
»Polizeipsychiater haben mir erklärt, dass der Mörder sich offenbar dazu berufen fühlt, Lengs Arbeit fortzusetzen. Er will ihm nacheifern und den uralten Menschheitstraum verwirklichen, im Klartext: das eigene Leben verlängern. Die … reißerische Darstellung in der
Times
hat, wie wir glauben, den Serienmörder zu seinen Untaten inspiriert.«
Das war unerhört! Der Bürgermeister schob
ihm
die Schuldin die Schuhe! Smithback sah sich um und merkte, dass die Kollegen ihn anstarrten. Er unterdrückte mit Mühe den Impuls, geharnischt zu protestieren. Er hatte die Story doch nicht erfunden, sondern
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