Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
aufzubrechen! Offenbar doch, der nächste Stoß war noch wuchtiger, der ganze Türrahmen zitterte. Und dann waren sie anscheinend dahinter gekommen, dass die Tür gar nicht verschlossen war. Nora hörte beinahe erleichtert, wie der Knauf gedreht und die Tür knarrend aufgestoßen wurde.
Zögernd, mit zitternden Knien, wich sie in das Dunkel zwischen den links und rechts von ihr aufragenden Knochenwällen zurück. Die Sammlung galt als die größte der Welt. Tausende Tonnen Knochen lagen ohne erkennbare Systematik in den mit Stahldraht gesicherten Regalen: Schenkel so dick wie Baumstämme, Schädel von der Größe eines Autos. Der Raum roch nach Moder wie eine alte Kathedrale.
»Wir wissen, dass Sie hier sind«, rief eine Stimme – Finester, ziemlich außer Atem.
Nora zog sich tiefer ins Dunkel zurück. Etwas Schwarzes huschte an ihr vorbei: eine Ratte, die freilich schleunigst in der leeren Augenhöhle eines Carnotaurus Zuflucht nahm. Nora atmete tief durch und ermahnte sich, nicht in Panik zu verfallen, sondern sich darauf zu konzentrieren, ein halbwegs sicheres Versteck zu finden. Nur, das war einfacher gedacht als getan, zum einen wegen der spärlichen Lichtverhältnisse, zum anderen, weil es fast unmöglich war, sich in dem Gewirr von Regalen zu orientieren. Wie in fast allen Lagerräumen, die sie kannte, hatte man sich auch hier darauf beschränkt, die in anderthalb Jahrhunderten angesammelten Fundstücke vorläufig in den kreuz und quer aufgestellten Regalen zu stapeln, alles Weitere würde sich schon irgendwann finden. Kein Ort zum Verstecken, ging ihr durch den Kopf, eher zum Verlaufen.
»Es hat sich noch nie ausgezahlt, vor der Polizei wegzulaufen, Dr. Kelly! Zeigen Sie sich, wir kommen dann langsam auf Sie zu.«
Nora versteckte sich hinter einer riesigen Schildkröte – einem Monstrum von den Ausmaßen eines mittelgroßen Wohnzimmers – und versuchte, sich zu erinnern, ob sie bei früheren Besuchen nicht doch irgendein System bei der Anordnung der Regale bemerkt hätte. Vergeblich, sie erinnerte sich nur an eins ganz genau: Es gab keine zweite Tür. Sie musste also, wenn sie hier rauswollte, die Tür benutzen, durch die sie gekommen war, aber den Weg dorthin hatten ihr die beiden Officers abgeschnitten. Folglich musste sie versuchen, O’Grady und Finester tiefer in den Lagerraum zu locken.
»Dr. Kelly, ich bin sicher, wir können eine vernünftige Lösung finden. Bitte!«
Nora lächelte verstohlen in sich hinein. Mein Gott, was waren die beiden doch für dümmliche Schwätzer! Smithback hätte seine helle Freude an der Situation gehabt.
Der Gedanke an ihn ließ ihr Lächeln schnell verkümmern. Sie war sich jetzt ziemlich sicher, was er getan hatte: Er war zuLengs Wohnhaus gefahren. Vielleicht war ihm Pendergasts Theorie zu Ohren gekommen, derzufolge Leng noch lebte und sich in seinem alten Haus aufhielt. Gut möglich, dass er O’Shaugnessy dazu verleitet hatte, ein bisschen zu redselig zu sein. Smithback schaffte es, den Leuten die Würmer aus der Nase zu ziehen, bei ihm wäre sogar Helen Keller zur Plaudertasche geworden.
Dazu kam, dass er sich auf Recherchen verstand und sich mit den Aktenbergen des Museums auskannte. Während sie und Pendergast Dokumente gewälzt hatten, war er ins richtige Archiv marschiert und hatte prompt einen Volltreffer gelandet. Und wie sie Smithback kannte, hatte er keine Sekunde gezögert, sich in die Höhle des Löwen zu wagen. Darum hatte er den Wagen gemietet und war zum Riverside Drive gefahren. Das Dumme war nur, dass er sich nie damit begnügen konnte, den Schlüssel für die Lösung eines Rätsels in der Hand zu halten.
O dieser Narr, dieser gottverdammte Dummkopf!
Sie griff nach ihrem Handy, dämpfte die unvermeidlichen Geräusche mit ihrer ledernen Handtasche ab und wählte Smithbacks Nummer. Aber da tat sich nichts, das Handy war tot. Kein Wunder bei all den Stahlregalen rings um sie und tausenden Tonnen Bausubstanz über ihr, fiel ihr erleichtert ein. Und das ließ sie hoffen, dass die beiden Officers mit ihren Funkgeräten hier auch nicht viel anfangen konnten. Was sich, wenn ihr Plan aufging, als sehr nützlich erweisen würde.
»Dr. Kelly!« Aha, die Stimme kam von links, der Weg zur Tür war also frei.
In der Hoffnung, die beiden irgendwo zu sehen, huschte sie geduckt zwischen den Regalen entlang. Aber das Einzige, was sie sah, war der halb hinter den Knochenwällen versteckte Lichtkegel ihrer Stablampen.
Sie durfte keine Zeit mehr verlieren,
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