Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
verbundenen Gebäuden aus dem neunzehnten Jahrhundert, der über dreitausend Räume und Korridore von fast zweihundert Meilen Länge umfasste. Aber alle beeindruckenden Daten und Zahlen konnten das Gefühl der Platzangst nicht verdrängen, das sie auf den schier endlosen, menschenleeren Fluren befiel. Hier, dachte sie, hätte sogar der Minotaurus einen Nervenkollaps erlitten.
Sie blieb stehen, zog ihren Wegeplan zu Rate und seufzte frustriert. Ein mit Terrakotta gefliester, kärglich von Kellerlampen ausgeleuchteter Flur führte geradeaus, nach rechts zweigte ein anderer, zum Verwechseln ähnlicher ab. Die Luft roch überall gleich muffig nach Staub. Ihr Blick huschte auf der Suche nach einem Orientierungspunkt hin und her. An einer mit einem Vorhängeschloss gesicherten Tür hing ein schon leicht verblichenes Schild mit der Aufschrift
Titanosaurier
, an der schräg gegenüberliegenden Tür stand:
Chalicoteriae und Tapiridae
. Sie faltete noch einmal den unhandlichenWegeplan auf und fand nach einer Weile heraus, wo sie war. Sie hatte sich nicht hoffnungslos verirrt, sie musste einfach nur weiter geradeaus gehen und dann um die nächste Ecke biegen. Glück gehabt, dachte sie, während sie dem Stakkato ihrer hochhackigen Schuhe lauschte, ich bin anscheinend noch mal drum herum gekommen, mir meinen persönlichen Beitrag zur Sammlung berühmter letzter Worte auszudenken.
Schließlich stand sie vor der massiven, von Schrunden überzogenen Eichentür mit dem Schild
Zentralarchiv
. Sie klopfte an und hörte, wie der Schall jenseits der Tür wie in einem Gewölbe widerhallte. Papiere raschelten, ein Buch wurde zugeklappt, irgendjemand räusperte sich rachitisch, und dann rief eine piepsige, aufgeregte Stimme: »Augenblick, bitte.« Schlurfende Schritte kamen näher, mehrere Riegel wurden zurückgeschoben, die Tür öffnete sich, unter ihr stand ein kleinwüchsiges, rundliches Männchen im fortgeschrittenen Alter. Zuerst fiel ihr die rötliche Hakennase auf, dann der wuchernde Schwall schlohweißer Haare, der dem alten Herrn in die Stirn fiel. Der melancholische Zug, der auf seinem Gesicht lag, wurde rasch von einem einladenden Lächeln verdrängt.
»Hereinspaziert, meine Teuerste, treten Sie ein! Bitte lassen Sie sich nicht von meinem weißen Haar abschrecken, ich bin zwar schon ein älteres Semester, aber ich beiße nicht.
Fortunate senex!«
Nora trat über die Schwelle. Der Staub schien allgegenwärtig zu sein, er lag sogar auf den Revers des abgetragenen Anzugs des Männleins. Die Glühbirne unter dem grünen Lampenschirm warf einen schmalen Streifen Licht auf den von Papierstapeln eingerahmten Schreibtisch und die in der Mitte thronende altmodische Schreibmaschine. Dahinter erstreckten sich endlose Reihen von deckenhoch mit Büchern beladenen Stahlblechregalen.
»Sind Sie Reinhart Puck?«, fragte Nora.
Der alte Herr nickte eifrig, die rundlichen Wangen und das gut gepolsterte Kinn nickten mit. »Zu Ihren Diensten«, säuselte er und verbeugte sich so tief und devot, dass Nora einen Augenblick lang damit rechnete, er werde ihr als Nächstes die Hand küssen. Stattdessen ließ er wieder das offensichtlich unwillkürliche rachitische Räuspern hören, bei dem Nora sofort an eine Staublunge denken musste.
»Ich bin auf der Suche nach Informationen über … über Kuriositätenkabinetts«, sagte Nora und überlegte, ob es wohl richtig war, beim Plural einfach ein s anzuhängen.
Puck – schon dabei, die Türriegel wieder vorzulegen – schielte zu ihr herüber und hatte plötzlich ein Leuchten in den geröteten Augen. »Oh, da sind Sie bei mir goldrichtig, junge Dame. Das Museum hat das Inventar der meisten Kabinette aus der New Yorker Frühzeit übernommen. Wir besitzen die Sammlungen und sämtliche Unterlagen. Womit wollen wir anfangen?« Er schob den letzten Riegel vor und rieb sich, offenbar beglückt, dass endlich jemand seine Dienste in Anspruch nahm, zufrieden die Hände.
»Es gab da ein Kuriositätenkabinett im unteren Teil von Manhattan. Es hieß, glaube ich, das Shottum-Kabinett.« Puck runzelte die Stirn. »Shottum? Ja, richtig. War seinerzeit sehr populär, das Shottum’s. Aber eins nach dem anderen. Sobald Sie sich ins Besucherbuch eingetragen haben, können wir loslegen.«
Er kramte ein in Leder gebundenes Buch aus dem Schreibtisch, das so alt und abgewetzt aussah, dass Nora unwillkürlich nach der stilgerechten Gänsefeder für die Eintragung Ausschau hielt, sich aber dann doch mit dem Kugelschreiber
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