Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
dorthin, meine Teuerste. Nur, vom Shottum-Kabinett haben wir nicht viel. Es ist 1881 abgebrannt.«
»Die meisten Ausstellungsstücke wurden von einem gewissen Marysas gesammelt«, warf Nora ein, weil sie hoffte, den alten Herrn dadurch von weiteren Abschweifungen abzuhalten.
»Ja, es gab tatsächlich einen wunderlichen alten Knaben namens Marysas. Stammte aus einer reichen New Yorker Familie. Ist auf Madagaskar gestorben. Ich meine mich zu erinnern, dass der dortige Stammeshäuptling Marysas’ Haut zu einem Sonnenschirm für sein Baby verarbeitet hat …«
Sie drangen tiefer und tiefer in das Labyrinth aus Stahlblechregalen ein. Von Zeit zu Zeit knipste Puck weitere Lichtschalter an, wobei jedes Mal automatisch die Lampen hinter ihnen erloschen. Nora kam sich wie auf einer Insel des Lichts inmitten eines unendlichen dunklen Ozeans vor. Schließlich kamen sie in einen Bereich, in dem auf breiten Sockeln halb vergessene Ausstellungsstücke prangten: ein zotteliges, geschrumpftes Mammut, aber immer noch von eindrucksvoller Größe, ein weißer Elefant, eine Giraffe ohne Kopf …
Zu Noras Schrecken blieb Puck abermals stehen. »Den Kabinetten kam es vor allem darauf an, das zahlende Publikum anzulocken. Sehen Sie sich zum Beispiel dieses Mammut an! Ein Fundstück aus dem Alaskaeis.« Er langte unter den Bauch des Tieres, und sofort öffnete sich wie von Geisterhand bewegt die Bauchdecke.
»Das war damals ein beliebter Schaubudentrick. Jemand, der sich als Wissenschaftler ausgab, erzählte den Leuten, dass das Mammut vor einhunderttausend Jahren durch das Eis konserviert worden sei und er nunmehr versuchen werde, das Tier wiederzubeleben. Und dann tat er, als wolle er das ausgehöhlte Mammut mittels einer Pfanne mit glühenden Kohlenerhitzen. Die Besucher ahnten natürlich nicht, dass vor der Vorführung ein schmächtiger Mann in den Bauch des präparierten Mammuts gekrochen war. Und als es nun unter ihm höllisch heiß wurde, fing der verständlicherweise zu stöhnen und zu zappeln an. Die Besucher ergriffen erschrocken die Flucht, und damit war die Show vorbei.« Puck kicherte. »Die Leute waren seinerzeit viel leichtgläubiger als heute.« Er drückte die Klappe wieder zu.
»Ja«, sagte Nora genervt, »das ist sehr interessant, Mr. Puck, und ich weiß Ihre Führung überaus zu schätzen. Aber mir läuft die Zeit weg, deshalb würde ich jetzt wirklich gern die Shottum-Unterlagen sehen.«
»Wir sind schon da!« Der alte Herr rollte eine Metalltreppe an das nächste Regal, stieg nach oben und tauchte kurz darauf mit einer kleinen Schachtel wieder auf. »O terque quaterque beati! Da haben wir Ihren Mr. Shottum. Ich fürchte nur, sein Kabinett war nicht gerade das interessanteste. Und da es abgebrannt ist, besitzen wir nur die wenigen Unterlagen in dieser Schachtel.« Er öffnete den Deckel und warf einen Blick hinein. »Allmächtiger Gott, was für ein grässliches Durcheinander!«, stöhnte er entsetzt. »Ich verstehe überhaupt nicht, wie so etwas … Na gut, wenn Sie damit fertig sind, kann ich Ihnen gern noch das Delacourte-Material zeigen. Das ist nämlich ziemlich vollständig erhalten.«
»Ich fürchte, dazu habe ich keine Zeit. Jedenfalls nicht heute.«
Er sah so enttäuscht aus, dass sie sofort Mitleid mit dem einsamen alten Mann verspürte. Aber da fischte Puck schon ein verblasstes Blatt Papier aus der Schachtel. »Ah, hier haben wir einen Brief von Tinbury McFadden. Er hat Shottum, mit dem er gut befreundet war, bei der Bestimmung der Säugetiere und Vögel geholfen.« Er kramte eifrig weiter in der Schachtel.
Nora zögerte einen Augenblick, dann fragte sie: »Könnte ich mir die Schachtel ausleihen?«
»Bedaure, nein. Wenn Sie den Inhalt durchsehen wollen, müssen Sie das in unserem Leseraum tun. Mitgeben darf ich sie Ihnen nicht.«
»Ich verstehe.« Sie dachte kurz nach. »Sie sagten, McFadden sei eng mit Shottum befreundet gewesen. Finde ich seine Unterlagen auch in dieser Schachtel?«
»In
dieser
Schachtel? Wir haben Berge von Papieren aus McFaddens Feder. Und auch seine Sammlung. Er besaß sozusagen selber ein Kabinett, nur, er hat seine Stücke nicht ausgestellt, sondern alle dem Museum vermacht. Aber es gab keine Belege für die Echtheit, und ehrlich gesagt, es wimmelte nur so von Fälschungen. Darum wird das Zeug jetzt hier unten gelagert. Für historische Zwecke.« Er schnaufte verächtlich. »Einen wissenschaftlichen Wert hat es nicht. Das Museum hält die Sachen nicht für
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