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Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens

Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens

Titel: Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston
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nicht dahinter, was es war. Und während ich noch rätselnd darauf starrte, hörte ich wieder das leise Geräusch – wie von einem geknebelten oder seiner Zunge beraubten Tier.
    Ich weiß nicht, was mir die Kraft gab, mich dem Tisch zu nähern; vielleicht war es das alle Ängste verdrängende Verlangen nach der Wahrheit. Und so griff ich denn, ehe mich der Mut verlassen konnte, nach dem schmutzigen Wachstuch und zog es mit einem Ruck weg. Bis ans Ende meiner Tage werde ich den Anblick nicht vergessen, der sich mir bot; die Erinnerung daran dreht mirnoch heute den Magen um. Ein auf dem Bauch liegender Leichnam. Wo einst die Wirbelsäule endete, klaffte ein Loch. Ich versuchte mir, das merkwürdige Geräusch damit zu erklären, dass es wohl von den entweichenden Verwesungsgasen gekommen sein müsse. Man könnte vermuten, dass ich unter dem Eindruck des ersten Schocks keines klaren Gedankens fähig war, aber ich bemerkte sofort, dass der Leichnam wie auch die klaffende Wunde frisch waren.
    Fünf, vielleicht zehn Sekunden starrte ich wie benommen auf den grausigen Fund, dann trat ich noch näher an ihn heran. War das etwa der Körper, dessen Blut auf meinen Schreibtisch getropft war? Aber wieso konnte die Wunde dann noch so frisch aussehen? War es denkbar, dass Leng innerhalb einer Woche Experimente an zwei Leichen durchgeführt hatte?
    Nun genügte mir nicht mehr, was ich schon wusste, ich wollte es genau ergründen. Zögernd streckte ich die Hand aus, um den Körper umzudrehen und zu sehen, wie weit die Leichenblässe fortgeschritten war.
    Die Haut fühlte sich elastisch und das Fleisch warm an, was allerdings an der schwülen, feuchten Luft im Keller liegen mochte. Während ich noch dabei war, den Körper umzudrehen, sah ich zu meinem namenlosen Grauen, dass ihm ein mit Blut getränkter Fetzen Stoff in den Mund gestopft worden war. Ich zog erschrocken meine Hand weg, aber das vermeintlich leblose Bündel drehte sich weiter herum, bis es mit dem Gesicht nach oben lag.
    Brechreiz würgte mich, es fehlte nicht viel, und ich hätte mich übergeben. Ich war so schockiert, dass ich die Bedeutung des blutigen Stofffetzens anfangs überhaupt nicht begriff. Hätte ich sie begriffen, so wäre ich in panischem Entsetzen davongerannt und hätte mir dadurch erspart, das Grauen bis zur Neige ergründen zu müssen.
    Denn in diesem Moment, McFadden, schlug das Wesen, das vor mir lag, die Lider auf. Ich blickte in Augen, die einst menschliche Augen gewesen waren, aber nun nichts Menschliches mehr an sich hatten.
    Und während ich so, wie gelähmt vor Angst und Entsetzen, in die halb toten, halb lebenden Augen starrte, stieß das Phantom abermals ein leises Wimmern aus. Da wurde mir klar, dass das Geräusch, das ich gehört hatte, nichts mit entweichenden Gasen zu tun gehabt hatte. Und dass der Mann, der all das zu verantworten hatte, kein Grabräuber war. Die gequälte Kreatur auf dem Tisch war lebendig, noch jetzt. Leng praktizierte seine grausigen Experimente an
lebenden
Opfern. Und wie zur Bestätigung fing das Bündel Elend auf dem Tisch wieder leise zu wimmern an.
    Ein einziger Gedanke beherrschte mich: Ich wollte dieser unterirdischen Schreckenskammer so schnell wie möglich entfliehen. Immerhin brachte ich noch so viel Geistesgegenwart auf, dass ich den zwischen Leben und Sterben schwebenden Körper wieder in seine ursprünglich Lage drehte und das Wachstuch darüber zog, ja sogar die Kellertür hinter mit zudrückte, bevor ich die Treppe hochtaumelte …
     
    Seither habe ich kaum einen Schritt aus dem Kabinett getan. Ich war vollauf damit beschäftigt, meinen Mut so weit zu stählen, um zu tun, was das Herz mir befiehlt. Ich denke, nun werden Sie verstehen, lieber Kollege, dass jede Missinterpretation ausgeschlossen ist. Was ich in Lengs Keller gesehen und in seinem so teuflisch detaillierten Tagebuch gelesen habe, schließt jede Möglichkeit eines Irrtums aus. Um Ihnen einen weiteren Beweis zu liefern, habe ich auf dem beigefügten Blatt die grausamsten Beschreibungen von medizinischen Experimenten und Prozeduren, wie Leng sie in seinemTagebuch aufgezeichnet hat, nach meiner Erinnerung wiedergegeben. Natürlich könnte ich zur Polizei gehen, aber ich spüre, dass nur ich …
    O Himmel, gerade in diesem Augenblick höre ich seine Schritte auf der Treppe! Ich muss diesen Brief wieder in das Versteck legen und morgen fortfahren.
    Möge Gott mir die Kraft schenken, das zu vollbringen, was vollbracht werden muss.

6
    Roger

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