Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
es aus dem Moos auftauchte, sah er, dass es gar kein Ast, sondern ein Arm war. Es schien, als wolle der Waldboden sein Geheimnis nur widerstrebend preisgeben. Erst als Paul das halb vermoderte Laub beiseite geschoben hatte, konnte er die Konturen einer Leiche sehen. Und als er erschrocken die Hand wegzog, glitt der größte Teil des Arms in das Moos zurück.
Das Mädchen stieß einen Schrei aus, kroch auf allen vieren nach hinten, versuchte sich hochzudrücken, knickte aber gleich wieder in den Knien ein. Es kam schließlich doch noch auf die Beine und rannte los. Es nahm sich keine Zeit, den Reißverschluss der Jeans zuzuziehen, die offene Bluse flatterte hinter ihr her wie ein zerrissenes Segel.
Endlich hatte sich auch Paul hochgerafft. Er sah sich verzweifelt nach dem Mädchen um, aber das Einzige, was erwahrnahm, war das trockene Knacken dürrer Äste, die Gott weiß wo liegen konnten.
Es war alles derart schnell gegangen, dass ihm alles wie ein böser Traum vorkam. Er merkte, dass seine Erektion zu verkümmern begann. Er verspürte nur noch namenloses Entsetzen, wirbelte herum und wollte wegrennen. Aber irgendetwas schien ihn an diesen Ort zu bannen. Er drehte sich um und blickte zurück, als wolle er sich vergewissern, dass das Ganze nicht nur ein böser Spuk gewesen war.
Nein, er konnte die Finger deutlich sehen – leicht gekrümmt und mit feuchter Erde beschmutzt. Und irgendwo im Halbdunkel dahinter, unter dem Teppich aus Moos verborgen, musste der Rest der Leiche liegen.
2
Dr. Bill Dowson lungerte am Waschbecken herum und betrachtete gedankenverloren seine sauber geschnittenen Fingernägel. Noch eine Stunde, dann ist’s Zeit für den Lunch. Gott sei Dank! Ein Schinkensandwich im Imbiss an der Ecke war genau das, was er jetzt brauchte. Das heißt, eigentlich war er gar nicht so sicher, ob er sein Sandwich wirklich mit Schinken wollte. Vielleicht lag es nur an der fahlen Hautfarbe der letzten Leiche, dass er plötzlich an Schinken denken musste. Mal sehen, was die niedliche kleine Dominikanerin in der Imbissstube sonst noch auf der Speisekarte hatte. Im Geiste schmeckte Dowson schon den knackigen grünen Salat, die Mayonnaise und das würzige Aroma der Tomaten auf der Zunge …
Die Schwester kam mit dem Klemmbrett herein. Er sah hoch. Hübsches Ding, straffer Körper, kurz geschnittenes schwarzes Haar. Er warf einen Blick auf das Klemmbrett, ohne es ihr abzunehmen. »Was haben wir denn als Nächstes?«
»Ein weibliches Mordopfer.«
Er seufzte und verdrehte die Augen. »Das wievielte ist das heute? Das vierte? Man könnte meinen, die Jagdsaison ist eröffnet. Schussverletzung?«
»Nein. Scheinen mehrere Messerstiche zu sein. Sie wurde im Central Park gefunden. Im Labyrinth.«
Dowson nickte. »Da verscharren die Typen ihre Opfer gern.« Na großartig, wieder ein Menschenleben sinnlos ausgelöscht.
»Bringen Sie sie bitte rein!«
Er sah der Schwester nach. Sagenhafter Hüftschwung. Kurze Zeit später schob sie den mit einem grünen Tuch abgedeckten Rollwagen herein.
Er kam zu ihr herüber. »Wie ist das nun mit dem Dinner heute Abend?«
Die Schwester lächelte. »Ich glaube, das ist keine gute Idee, Doktor.«
»Wieso nicht?«
»Wie ich Ihnen schon gesagt habe: Ich verabrede mich nicht mit Ärzten. Schon gar nicht, wenn ich für sie arbeite.«
Er schob die Brille tiefer und grinste. »Aber ich bin ein Seelenverwandter, erinnern Sie sich?«
Sie schmunzelte. »Kann ich mir kaum vorstellen.« Er spürte, dass sein Interesse ihr schmeichelte. Trotzdem, es war vielleicht besser, sie nicht zu drängen. Heutzutage wurde einem das schnell als sexuelle Belästigung ausgelegt.
»Schalten Sie bitte die Videokamera ein«, bat er sie, während er sich frische Handschuhe überzog. Dann nahm er das Klemmbrett zur Hand. »So, was haben wir denn hier? Hautfarbe weiß, von ihrem Ehemann als Doreen Hollander identifiziert, Alter 27, aus Pine Creek, Oklahoma.« Er überflog den Rest der ersten Seite, dann hängte er das Klemmbrett an den Rollwagen, legte die Gesichtsmaske an und bettete die Leiche mit Hilfe der Schwester auf den schimmernden Edelstahl des Untersuchungstisches.
Irgendwie spürte er plötzlich, dass sie nicht allein waren. Er drehte sich um. Unter der Tür stand ein schlanker, hoch aufgeschossenerMann mit ungewöhnlich blasser Hautfarbe, was wegen des schwarzen Anzugs besonders ins Auge fiel. Hinter ihm stand ein uniformierter Cop.
»Ja?«, fragte Dowson.
Der Mann kam näher und klappte seine
Weitere Kostenlose Bücher