Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
Cauda equina entfernt, beginnend beim ersten Lendenwirbel bis zum Sacrum. Sie umfasst also auch das Filum terminale.« Er wandte sich an die Schwester.
»Bitte den ganzen Bereich abtupfen.«
Die Schwester entfernte den Schmutz und die Blattreste rings um die Wunde.
»Das Rückenmark – präziser: die Cauda equina fehlt. Sie wurde entfernt. Schwester, bitte Lendenwirbel eins bis fünf ausspülen!«
Dowson verfolgte zufrieden, wie geschickt und schnell sie zu Werke ging.
»Bei der Sektion wurden ein Teil der Haut, das subkutaneGewebe und die paraspinöse Muskulatur verletzt. Deutlich sichtbare Spuren deuten darauf hin, dass ein automatisch dem Sektionsverlauf folgender Wundhaken verwendet wurde.« Er deutete für die Kamera auf die entsprechenden Stellen.
»Bei der Entfernung der Ligamenta flava wurden erwartungsgemäß die spinösen Schichten in Mitleidenschaft gezogen. Die Dura ist jedoch trotz eines tiefen Schnitts von Lendenwirbel eins bis zum Sacrum vorhanden. Alles in allem ergibt sich der Eindruck eines durchaus professionellen Vorgehens … Schwester, bitte das Stereozoom.«
Die Schwester rollte ein großes Mikroskop heran. Dowson richtete das Objektiv auf die Schnittstelle. »Anscheinend wurde bei der Entfernung des Gewebes ein spezielles Duramesser benutzt«, murmelte er vor sich hin. Er fuhr sich mit dem Ärmel seines Kittels über die Stirn. Diese Sektion war offensichtlich nicht die Arbeit eines Anfängers. Wer immer den Eingriff vorgenommen hatte, der Mann musste über profunde neuroanatomische Kenntnisse verfügen.
Pendergast räusperte sich. »Doktor, darf ich Ihnen einige Fragen stellen?«
Dowson nickte.
»Hat die Sektion zum Tod der jungen Frau geführt?«
Darüber hatte Dowson noch gar nicht nachgedacht. Ein leichtes Schaudern überlief ihn. »Falls das Opfer zum Zeitpunkt des Eingriffs noch gelebt hat, lautet die Antwort Ja. Dann hätte das unweigerlich zum Tod geführt.«
»Wann genau?«
»Nun, das dürfte beim Einschnitt in die Dura gewesen sein. Der damit verbundene hohe Verlust an Zerebrospinalflüssigkeit führt innerhalb kürzester Zeit zum Tode.« Er sah sich die Wunde noch einmal genau an. »Der Eingriff hat offenbar zu einer starken Blutung geführt. Einige der epiduralen Venen haben sich kontrahiert, was auf eine traumatische Reaktion noch zu Lebzeiten schließen lässt. Die Schnitte wurden nicht um die Venen herum ausgeführt, wie man das bei lebendenPatienten tut, sondern direkt durch sie hindurch. Der Mann, der diese Operation durchgeführt hat, scheint also, ungeachtet seiner chirurgischen Fähigkeiten, in großer Eile gewesen zu sein. Möglicherweise ist das Opfer schon vor dem Einschnitt in die Dura verblutet. Das hängt ganz davon ab, wie schnell der … der Ausführende gearbeitet hat.«
»Hat sie denn bei Beginn der Operation gelebt?«
»Anscheinend ja, nur …« Dowson schluckte schwer. »… es gibt keine Anzeichen für Bemühungen, sie auch während der Operation am Leben zu halten. Wir nehmen in solchen Fällen immer eine Untersuchung des Bluts und des Gewebes vor, um zu sehen, ob die Patientin unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln oder Narkotika gestanden hat.«
Penderson nickte. »Wie professionell wurde der Eingriff Ihrer Meinung nach durchgeführt, Doktor?«
Dowson beantwortete die Frage nicht, er war vollauf damit beschäftigt, seine Gedanken zu ordnen. Diese Sache konnte sich zu einem höchst unerfreulichen Fall auswachsen, es war also wichtig, dafür zu sorgen, dass die Presse vorläufig keinen Wind davon bekam. Aber irgendwann kam die Wahrheit heraus, das war immer so, und dann konnte er schnell ins Kreuzfeuer geraten. Er tat also gut daran, sich abzusichern. Eins stand fest: Ein gewöhnlicher Mord war das mit Sicherheit nicht. Ein Glück, dass er nicht sofort mit der Autopsie begonnen hatte. Was er, wie er sich eingestand, dem FBI-Agent zu verdanken hatte.
Er wandte sich an die Schwester. »Jones soll herkommen, wir benötigen Großbildaufnahmen und Aufnahmen unter dem Stereozoom. Und ich möchte, dass mir ein zweiter Gerichtsmediziner assistiert. Wer hat Rufbereitschaft?«
»Dr. Lofton.«
»Ich brauche ihn innerhalb der nächsten halben Stunde. Und ich möchte auch unseren Neurochirurgen konsultieren. Bitten Sie Dr. Feldmann, so schnell wie möglich herzukommen.«
Er drehte sich zu dem FBI-Agent um. »Nun, Mr. Pendergast, angesichts der Tatsache, dass Sie kein offizielles Berechtigungsschreiben vorweisen können …«
Pendergast winkte ab.
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