Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
Brieftasche auf. »Ich bin Special Agent Pendergast, Doktor. Und das ist Sergeant O’Shaugnessy von der New Yorker Polizei.«
Dowson musterte ihn. Irgendetwas an dem Mann irritierte ihn. Er war eine Spur zu blond, die Augen wirkten entschieden zu blass, und einen so ausgeprägten Südstaatenslang, wie er ihn sprach, durfte es eigentlich gar nicht geben. »Und?«
»Darf ich Ihnen zusehen?«
»Ist das ein FBI-Fall?
»Nein.«
»Zeigen Sie mir bitte Ihre Ermächtigung.«
»Ich habe keine.«
Dowson zuckte bedauernd die Achseln. »Sie kennen die Vorschriften. Sie können nicht einfach hier reinspazieren und zusehen wollen.«
Der Agent kam einen Schritt näher. Näher, als Dowson lieb sein konnte. Der Mann drang quasi in seinen persönlichen Arbeitsbereich ein. »Hören Sie, Mr. Pendergast, kommen Sie wieder, wenn Sie sich die nötigen Papiere besorgt haben, ja?«
»Das erfordert einen unangemessenen Zeitaufwand«, sagte Pendergast. »Und Sie würden unnötig aufgehalten. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Liebenswürdigkeit hätten, uns zusehen zu lassen.«
Dowson zögerte. Hinter dem einschmeichelnden Klang der Stimme glaubte er unbeugsame Härte herauszuhören. »Hören Sie, bei allem gebotenen Respekt …«
»Bei allem gebotenen Respekt«, unterbrach ihn der Agent, »möchte ich mit Ihnen ungern die Regeln gegenseitigen zivilisierten Umgangs erörtern. Fangen Sie einfach mit der Autopsie an!«
Plötzlich war da ein kalter Unterton, der irgendwie an Trockeneis erinnerte. Dowson fiel ein, dass die Videokamera bereits lief. Er ahnte, dass der Mann ihm Schwierigkeiten machen konnte. Schließlich kam er vom FBI.
Er seufzte abermals. »Also gut, Mr. Pendergast. Ziehen Sie bitte sterile Kittel über, Sie und der Sergeant.«
Er wartete, bis beide zurück waren, dann zog er mit einem Ruck das grüne Tuch weg. Die Leiche lag auf dem Rücken: blond, jung, frisch; die kühle Nachtluft hatte sie vor der beginnenden Verwesung bewahrt. Dowson beugte sich über das Mikrofon und begann mit dem äußeren Erscheinungsbild. Pendergast blickte unverwandt auf die Tote. Der Sergeant presste dagegen die Lippen zusammen und fing an, von einem Bein aufs andere zu treten. Dowson beäugte ihn ahnungsvoll. Fehlt bloß noch, dass der mir hier alles vollkotzt.
Pendergast hatte wohl auch etwas gemerkt. »Sie müssen sich das nicht ansehen, Sergeant.«
O’Shaugnessy schluckte schwer. »Gut. Ich warte draußen.« »Werfen Sie beim Rausgehen den Kittel in den Wäschekorb!«, rief Dowson ihm nach.
Als der Sergeant gegangen war, sagte Pendergast: »Ich rege an, die Leiche umzudrehen, bevor Sie Ihre Y-Inzision machen.«
»Und wieso?«
Pendergast nickte Richtung Klemmbrett. »Seite zwei.«
Dowson nahm das Brett und schlug die oberste Seite um. »Extensive Lazerationen … tiefe Messerverletzungen …« Sah ganz danach aus, als habe der Mörder ihr das Messer mehrmals in den unteren Rückenbereich gestoßen. Oder ihr Schlimmeres angetan. Immer dasselbe Problem mit Polizeiberichten: Aus medizinischer Sicht gaben sie den vermutlichen Tathergang nicht genau genug wieder. Und einen Gerichtsmediziner hatten sie nicht hinzugezogen. Der Fall Doreen Hollander war ihnen wohl zu unwichtig erschienen.
Dowson hängte das Klemmbrett weg. »Sue, helfen Sie mir bitte!« Gemeinsam drehten sie die Leiche um und legten die Rückenpartie frei. Die Schwester schnappte nach Luft und wich angewidert ein Stück zurück.
Dowson starrte verblüfft auf die Tote. »Sieht aus, als wäre sie auf dem Operationstisch gestorben, beim Versuch, einen Rückenmarkstumor zu entfernen.« Hatten die Cops etwa schon wieder was durcheinander gebracht? Erst letzte Woche war ihm das zweimal passiert: falsche Begleitpapiere zur falschen Leiche. Doch dann fielen ihm die Erdspuren und die Blätter ein, die an den Stichwunden klebten. Nein, Doreen Hollander war mit Sicherheit nicht im Krankenhaus gestorben.
Rätselhaft. Höchst rätselhaft sogar.
Er gab sich Mühe, sich seine Verblüffung nicht anmerken zu lassen, als er sich über das Mikrofon beugte und mit seinem Diktat fortfuhr.
»Dem äußeren Erscheinungsbild nach scheint es sich nicht um eine durch Messerstiche ausgeübte Gewalttat zu handeln, wie dies im Polizeibericht vermutet wird. Vielmehr deutet alles …« Er zögerte. »… auf eine Sektion hin. Sie umfasst den Bereich von etwa achtundzwanzig Zentimetern unterhalb der Skapula und sechzehn Zentimetern oberhalb der Gürtellinie. Offenbar wurde die ganze
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