Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
zumindest nicht aus den Augen zu lassen.
Die nächste Halle war schmaler, menschenleer und von einem langen Wasserbassin durchzogen. Gelbe Schilder warnten vor der Gefahr von Stromschlägen. Die erste Station des Laufbands mit den Truthähnen war eine Sprühanlage, danach senkte sich das Band abrupt ab, die Tiere wurden in das Wasserbassin eingetaucht, ein Summton war zu hören, gefolgt von einem kraftlosen letzten Keckern. Wenn die Tiere wieder auftauchten, hingen sie schlaff an ihren Schlaufen, sie flatterten nicht mehr, sogar ihr ängstlicher Protest war verstummt.
»Eine Betäubungsanlage«, sagte Pendergast zu Corrie. »Bei so viel Humanität muss Tierfreunden doch das Herz aufgehen, finden Sie nicht?«
Corrie schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an. Es war nicht schwer zu erraten, was als Nächstes kam.
Und tatsächlich, als sie Pendergasts Beispiel folgte und einen Blick durch das runde Kunststofffenster neben dem mit Gummibahnen verhängten Durchlass warf, sah sie, dass ihre Vermutung richtig gewesen war. Sobald eines der wie leblos baumelnden Tiere eine Lichtschranke passierte, jagte eine Stahlklinge auf das Laufband zu und trennte dem Truthahn mit präzisem Schnitt den Kopf ab, woraufhin sich ein SchwallBlut auf den Boden ergoss. Da man bei allem Vertrauen zur Technik immer einen letzten Trumpf im Ärmel haben soll, hatten die Gro-Bain-Bosse vorsorglich einen Arbeiter neben dem Laufband postiert, der den tödlichen Schnitt nötigenfalls mit einer Machete vollenden sollte.
Corrie hatte den Eindruck, dass die ganze Halle eine einzige tiefe Blutlache war. Angewidert wandte sie sich ab.
»Wie nennen Sie diese Station?«, fragte Pendergast den jungen Wachmann, der ihnen wie ein Schatten gefolgt war.
»Die Blutspende«, antwortete Bledsoe, was ihm wohl nachträglich ein wenig zu makaber vorkam. Er grinste verlegen und fügte dann rasch in sachlichem Ton hinzu: »Das Blut wird in unterirdischen Tanks aufgefangen und von Zeit zu Zeit mit Tankwagen abtransportiert. Wohin, weiß ich nicht.«
»Nun, es wird zweifellos zu Blutmehl verarbeitet«, sagte Pendergast. »Und was erwartet die Tiere in der nächsten Station? Ich meine, wohin führt das Laufband jetzt?«
»In die Dampfkammer«, erwiderte der Junge.
»Aha. Übrigens, wie heißen Sie?«
»Bart Bledsoe, Sir.«
»Gut, Mr. Bledsoe, dann darf ich Sie bitten, uns weiterhin als Führer behilflich zu sein.«
Bledsoe führte sie über einen schmalen Gang um die Halle mit dem Blutsee herum, aber der penetrante, widerlich süße Geruch von frischem Blut verfolgte sie, bis sie plötzlich wieder auf das Laufband stießen, das jetzt in eine größere Werkhalle führte. Die geköpften Truthähne schienen auf wundersame Weise an ihren Schlaufen zu zappeln, aber das lag natürlich daran, dass sie durch das Ausbluten erheblich an Gewicht verloren hatten. Das Laufband verzweigte sich, jeweils zwei Dutzend Tiere verschwanden in einem großen Stahlbehälter, aus dem ihnen ein von lautem Röhren begleiteter Hitzeschwall entgegenschlug. Corrie verlor fast die Nerven, als sie die ersten Tropfen von Kondenswasser auf derHaut spürte. Wäre sie doch bloß ihrem ursprünglichen Vorsatz treu geblieben, im Wagen auf Pendergast zu warten!
»Was passiert hier?«, erkundigte sich der Agent bei dem jungen Wachmann.
»Die Tiere werden mit Dampf bestrahlt«, erklärte ihm Bledsoe. Er deutete nach vorn, wo die tropfnassen, teilweise schon ihres Federkleids beraubten Tiere am Laufband auf die nächste Station zuschaukelten. »Dann geht’s zum Rupfen…«
Und plötzlich verstummte er abrupt. Offenbar war ihm eingefallen, dass man ihm ausdrücklich verboten hatte, Betriebsfremden irgendwelche Auskünfte zu geben. Um seinen Fehler auszubügeln, setzte er eine, wie er hoffte, abweisende Miene auf, sagte in strengem Ton »Bitte warten Sie hier, Sir!« und verschwand hinter der nächsten Sichtblende.
Pendergast dachte natürlich nicht daran, zu warten, bis Bledsoe womöglich mit Verstärkung anrückte. Er winkte Corrie, ihm zu folgen, zwängte sich, inzwischen immer routinierter geworden, wieder zwischen zwei auf-und zuklappenden Gummibahnen durch und war, wie er vermutet hatte, in der Rupfstation angekommen. Vier Maschinen waren pausenlos damit beschäftigt, den Truthähnen mit Hilfe bizarr anmutender künstlicher Noppenfinger jede noch so kleine Feder und sogar den feinsten Flaum wegzurubbeln. Nach dieser Radikalkur schaukelten die Tiere nackt und bloß, mit rosarot wund
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