Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
ermittelt wurde. Ein gewaltsamer Tod war eine unordentliche Angelegenheit. Aber wenn man einen Tatort analysierte – wenn Welle um Welle von Forensikern, Gerichtsmedizinern, Technikern und Kriminalbeamten ihre Arbeit in der vorgeschriebenen Weise erledigten –, dann wurden das Chaos und der Schrecken kategorisiert, geordnet und etikettiert. Es war, als ob die Untersuchungen selbst ein wenig jene natürliche Ordnung wiederherstellten, die der Akt des Mordens zerstört hatte. Und doch empfand sie, als sie diesen Tatort in Augenschein nahm, keinerlei Befriedigung. Sie verspürte vielmehr eine unerklärliche Unruhe.
Ihr war kalt; sie blies sich in die Hände und knöpfte den obersten Knopf ihres Mantels zu. Wegen des zerbrochenen Fensters und wegen ihrer Anweisungen, nichts anzufassen (nicht einmal die Heizung), war es in dem Zimmer kaum wärmer als draußen. Einen Augenblick lang wünschte sie, D’Agosta wäre da. Aber egal: Sie würde ihm von dem Fall berichten, wenn sie nach Hause kam. Er interessierte sich bestimmt dafür, außerdem überraschte er sie oft mit praktischen, kreativen Vorschlägen. Vielleicht würde ihn der Fall von seiner ungesunden Besessenheit mit Pendergasts Bruder ablenken. Gerade als er über Pendergasts Tod hinweggekommen war, gerade als seine Schuldgefühle nachzulassen schienen, hatte ihn dieser verdammte Chauffeur abgeholt …
»Ma’am?«, fragte ein Sergeant und steckte den Kopf durch die Tür ins Wohnzimmer. »Captain Singleton ist hier.«
»Führen Sie ihn bitte herein.« Singleton war der Chef des örtlichen Reviers, und Hayward hatte schon damit gerechnet, dass er persönlich erscheinen würde. Er war einer dieser altmodischen Captains, die der Ansicht waren, dass man bei seinen Leuten sein musste, auf der Straße oder an einem Tatort. Hayward hatte bereits bei einem anderen Fall mit ihm zusammengearbeitet und festgestellt, dass er einer der besten Captains der Stadt war, wenn es darum ging, mit der Mordkommission zusammenzuarbeiten: Er war kooperativ, hielt sich aus der Forensik heraus, machte sich aber bei jedem Schritt der Ermittlungen nützlich.
Und nun erschien im Türrahmen der Mann selbst. In seinem langen Kamelhaarmantel sah er todschick aus, das sorgfältig geschnittene Haar makellos wie immer. Er hielt inne, ließ den Blick schweifen, nahm den Tatort in Augenschein. Dann lächelte er, trat einen Schritt vor und streckte ihr die Hand entgegen. »Laura.«
»Glen. Schön, Sie zu sehen.« Der Handschlag war kurz und geschäftsmäßig. Sie fragte sich, ob Singleton wohl wusste, dass sie mit D’Agosta zusammen war, was sie sofort innerlich verneinte: Schließlich hatten sie beide sehr darauf geachtet, ihre Beziehung aus der Gerüchteküche in der New Yorker Polizei herauszuhalten.
Singleton machte eine weit ausholende Handbewegung. »Ein Haufen Arbeit, wie üblich. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich hier meine Nase reinstecke.«
»überhaupt nicht. Wir sind praktisch fertig.«
»Und? Wie läuft’s?«
»Prima.« Sie zögerte. Es gab kein Grund, Singleton nicht einzuweihen. Anders als die meisten hohen Tiere bei der Polizei hatte er kein Vergnügen daran, potenziellen Rivalen, die um eine Beförderung konkurrierten, in den Rücken zu fallen. Auch fühlte er sich nicht bedroht, wenn ihm die Mordkommission vor die Nase gesetzt wurde. Außerdem war er Captain – sie konnte sich also auf seine Diskretion verlassen.
»Offen gesagt, bin ich mir da gar nicht so sicher«, sagte sie etwas leiser.
Singleton blickte zu der Frau in der Ecke, die auf einem Klemmbrett die Beweismittel protokollierte. »Wollen Sie mich einweihen?«
»Das Schloss an der Wohnungstür wurde gekonnt aufgebrochen. Es ist eine kleine Wohnung, nur zwei Schlafzimmer, eines davon ist zu einem Maleratelier umgewandelt. Der Täter ist unerkannt in die Wohnung eingedrungen und hat sich anscheinend hier versteckt …« Sie deutete auf eine dunkle Ecke in der Nähe der Wohnungstür. »Er hat das Opfer überwältigt, als dieses das Wohnzimmer betrat, und hat ihm vermutlich einen Schlag auf den Kopf versetzt. Leider ist die Leiche durch den Sturz so entstellt, dass es schwierig werden könnte, die vom Angreifer benutzte Waffe zu identifizieren.« Sie zeigte auf die angrenzende Wand. Blutspritzer hatten ein Gemälde des Bootsteiches im Central Park verunstaltet. »Schauen Sie sich die mal an.«
Singleton trat nah heran. »Ziemlich kleine Tropfen, mittlere Geschwindigkeit. Ein stumpfes
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