Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
für die Rückgabe der Masken aus der Großen Kiva an die Tano ausspreche. Ein Entwurf des Artikels ist in Umlauf und hat in der Museumsleitung eine gewisse Bestürzung ausgelöst.« Sie versuchte das nervöse Timbre in ihrer Stimme zu verbergen. Dann sprach sie über die Geschichte der Masken und die Art und Weise, wie sie erworben waren, wobei sie immer mehr Selbstvertrauen und Sicherheit gewann. »Für diejenigen von Ihnen, die mit den Tano-Indianern nicht vertraut sind«, sagte sie, »sie leben in einem entlegenen Reservat an der Grenze zwischen New Mexico und Arizona. Wegen ihrer Isolation haben sie ihre Sprache und Religion ebenso wie ihre Bräuche bewahrt, während sie gleichzeitig mit einem Fuß in der Moderne leben. Weniger als zwanzig Prozent des Stammes bezeichnen sich als Christen. Ethnologen vermuten, dass sich die Tano in ihrem gegenwärtigen Gebiet am Tano-Fluss vor rund tausend Jahren angesiedelt haben. Die Tano sprechen eine einzigartige Sprache, die mit keiner anderen uns bekannten Sprache verwandt ist. Ich erzähle Ihnen diese Dinge, weil es wichtig ist zu betonen, dass es sich nicht nur vom Genotypus her um amerikanische Ureinwohner handelt, die verspätet versuchen, lange verlorene Traditionen wiederzugewinnen. Bei den Tano handelt es sich um einen der wenigen Stämme, die ihre Traditionen nie verloren haben.«
Sie hielt inne. Die Anwesenden hörten aufmerksam zu, und obwohl sie ihr, wie sie wusste, nicht alle zustimmten, schenkten sie ihr doch wenigstens respektvoll Gehör.
»Der Stamm teilt sich in zwei religiöse Gruppen. Die Masken der Great Kiva Society werden nur dann benutzt, wenn diese beiden Gruppen zu religiösen Zeremonien in der Großen Kiva zusammenkommen – wobei die Kiva die kreisrunde unterirdische Kammer ist, die den Tano als Andachtsort dient. Die Tano halten diese Feiern nur einmal alle vier Jahre ab. Sie glauben, dass die Zeremonien das Gleichgewicht und die Harmonie in ihrem Volk, in allen Menschen auf Erden und in der Natur bewahren. Sie glauben – und ich übertreibe hier nicht –, dass die furchtbaren Kriege und Naturkatastrophen der vergangenen hundert Jahre auf den Umstand zurückzuführen sind, dass sie die Masken aus der Großen Kiva nicht mehr besitzen und nicht in der Lage waren, jene Zeremonie regelgerecht durchzuführen, die der Welt das Gleichgewicht und die Harmonie zurückgibt.« Sie sprach noch fünf Minuten weiter und kam dann zum Ende, froh, dass sie ihre Ausführungen vergleichsweise knapp halten konnte.
Menzies dankte ihr und sah in die Runde. »Ich bitte um Wortmeldungen.«
Man hörte ein leises Scharren. Dann meldete sich eine Fistelstimme zu Wort. Sie klang leicht gekränkt. Das war Dr. Prine. Der Kurator mit den Hängeschultern erhob sich von seinem Stuhl. »Als Spezialist für etruskische Archäologie weiß ich natürlich nicht viel über die Tano-Indianer, aber ich finde, die ganze Sache hat einen unangenehmen Beigeschmack. Wieso interessieren sich die Tano auf einmal so sehr für diese Masken? Was gibt uns die Gewissheit, dass die sie nicht einfach wieder verkaufen? Die Masken müssen Millionen wert sein. Ich betrachte die Beweggründe der Tano mit großem Argwohn.«
Margo verkniff sich eine Antwort. Sie kannte Prine noch aus ihrer Studienzeit: ein kleines Licht, das im Laufe der Jahre noch kleiner geworden war. Wenn sie sich richtig erinnerte, hatte er in seinem ganzen Leben nur über ein einziges Thema geforscht: die Leberschau bei den Etruskern.
»Aus diesen und vielen anderen Gründen«, fuhr Prine fort, »bin ich unbedingt dafür, die Masken zu behalten. Mehr noch: Ich kann es nicht fassen, dass wir ernsthaft in Betracht ziehen, die Masken zurückzugeben. Wir haben sie gekauft, sie gehören uns, und wir sollten sie behalten.« Er setzte sich abrupt hin.
Als Nächster erhob sich ein klein gewachsener, dicklicher Mann mit einem rötlichen Haarkranz auf einer recht großen Glatze. Margo erkannte ihn – das war George Ashton, leitender Kurator der Ausstellung Bildnisse des Heiligen. Er war ein fähiger Ethnologe, der sich jedoch leicht aufregte. Und jetzt regte er sich auf.
»Ich stimme Dr. Prine zu, und ich widerspreche diesem Editorial aufs Entschiedenste.« Er wandte sich zu Margo um. Dabei fielen ihm fast die Augen aus dem runden roten Gesicht, und sein Doppelkinn wabbelte und schwabbelte vor lauter Aufregung. »Ich halte es für höchst unangemessen, dass Dr. Green diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt aufwirft. Uns bleibt weniger als
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