Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
schlechte Nachricht war: Weil es sich um einen ungelösten Fall handelte, musste er die Beweismittel genau hier, vor der versammelten Mordkommission, überprüfen.
Er blickte sich nochmals um, wobei er sich lächerlicherweise allen Blicken ausgesetzt fühlte. Wenn du zauderst, mein junge, ist das dein Verderben. Er zwang sich, sich so langsam und lässig wie möglich zu bewegen, und näherte sich den Schränken. Anders als in den anderen Abteilungen, wo man die Fälle nach Fallnummern ordnete, sortierte man bei der Mordkommission die ungelösten Fälle nach dem Nachnamen des Opfers. D’Agosta ging noch langsamer und betrachtete verstohlen die Etiketten auf den Schränken: DA-DE. DE-DO. DO-EB.
Los geht’s. Er blieb am richtigen Aktenschrank stehen und zog das entsprechende Schubfach heraus. Sein Blick fiel auf Dutzende grüner Hängeakten. Mein Gott, in wie vielen ungelösten Mordfällen ermittelten die hier eigentlich?
Jetzt galt es, schnell zu handeln. Er wandte sich von den Reihen der Schreibtische ab und ging die Akten von links nach rechts durch, wobei er die Namensschilder mit dem Zeigefinger wegschob. Donatelli, Donato, Donazzi – was war das denn, eine Mafia-Woche in der Mordkommission? Dowson, Dubliawitz.
Duggins.
Scheiße! Er hielt inne, den Finger auf der Fallakte eines gewissen Randall Duggins. Jetzt war genau das eingetreten, was er am meisten befürchtet hatte: Die Akte des Duchamp-Falls befand sich nicht im Schrank.
Hatte Laura die Akte? Hatte die sie vielleicht auf dem Schreibtisch liegen lassen, als sie zur Besprechung mit Rocker ging? Oder lag die Akte möglicherweise bei einem ihrer Detectives?
Was immer auch zutraf, er stand jedenfalls im Regen. Er würde später zurückkommen müssen, zu irgendeiner anderen Zeit – während irgendeiner anderen Schicht, damit er bei der Gruppe, die jetzt hier saß, kein Misstrauen erregte. Aber wann sonst konnte er zurückkommen und immer noch sicher sein, dass Laura nicht da sein würde? Sie war ein Workaholic; sie konnte praktisch jede Stunde hier aufkreuzen. Besonders jetzt, da sie keinen Grund hatte, zu Hause zu sein.
D’Agosta ließ die Schultern hängen. Er seufzte kurz. Seine Hand glitt von der Akte zum Schrank, um ihn zu schließen. Dabei fiel sein Blick auf die Mappe hinter der Akte Randall Duggins. Sie war beschriftet mit Charles Duchamp.
Was für ein Glück! Jemand, der es eilig gehabt hatte, musste sie falsch eingeordnet haben.
D’Agosta nahm die Mappe aus dem Schrank und blätterte sie durch. Sie war viel schwerer als erwartet. Laura hatte sich darüber beklagt, wie wenig Indizien es gegeben habe. Aber hier drin musste mindestens ein Dutzend dicker Schriftstücke sein: Analysen und Vergleiche von Fingerabdrücken, Ermittlungsberichte, Berichte über Einsatzbesprechungen, Vernehmungsprotokolle, Berichte über Beweismittelsicherung, toxikologische und labortechnische Berichte. Das musste man Hayward lassen: Sie brachte es sogar fertig, einen beschissenen Fall gut zu dokumentieren.
Er hatte gehofft, einen kurzen Blick in die Akte werfen zu können, sie an ihren Platz zurückzulegen und dann Pendergast aufzusuchen und ihm mündlich Bericht zu erstatten. Aber dafür steckte in den Unterlagen viel zu viel drin. Ihm blieb keine andere Wahl: Er musste das alles fotokopieren, und zwar schnell!
Wieder bewegte er sich so locker und lässig wie möglich. Dann schob er den Aktenschrank zu, sah dabei nach rechts und links. Mitten im Raum stand ein großer Fotokopierer, aber der war von Schreibtischen umgeben, und während D’Agosta dorthin blickte, ging ein Beamter mit einem Stapel Unterlagen darauf zu. Das würde länger dauern. Die Fallakte aus dem Raum mitzunehmen und anderswo zu kopieren kam nicht in Frage: Das war viel zu riskant. Aber große Abteilungen wie die Mordkommission hatten ja normalerweise mehrere Kopierer. Es musste also noch einer ganz in der Nähe sein. Aber wo zum Teufel steckte der?
Dort. An der gegenüberliegenden Wand, in der Nähe von Haywards Büro, stand ein Kopierer zwischen einem schwarzen Brett und einem Wasserspender.
D’Agosta ging forschen Schrittes darauf zu. Der Kopierer funktionierte, man musste auch keinen Zugangscode eingeben. Sein Glück hatte ihn noch nicht verlassen. Aber er musste sich beeilen: Es war schon kurz vor sechs, und Rockers Besprechung würde bald zu Ende sein.
Er warf die Fallakte auf die eine Ecke des Kopierers und legte die Unterlagen des Baumelmann-Falls obenauf. Er würde mit dem
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