Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
einem nicht alle Tage begegnen.«
»Warum sagen Sie das?«
»Die bizarre Art und Weise des Todes, der Bekanntheitsgrad des Opfers, der Umstand, dass sich der Mörder offenbar jeglicher Entdeckung entzogen hat – das alles ergibt eine super Story. Ich kann sie einfach nicht sausen lassen.«
»Könnten Sie sich etwas genauer ausdrücken?«
»Die Details sind nicht wichtig. Ich muss hier raus.«
»Die Details sind immer wichtig.«
Smithbacks Gefühl, dass Tisander ihm wohlgesinnt war, verflog allmählich. »Es geht nicht nur um meine Arbeit, sondern auch um meine Frau, Nora. Sie glaubt, ich wäre in geheimer Mission in Atlantic City, um in einer anderen Geschichte zu recherchieren, aber sie macht sich bestimmt Sorgen um mich. Wenn ich wenigstens kurz rausgehen und sie anrufen könnte, sie wissen lassen, dass es mir gut geht. Wir sind erst seit ein paar Monaten verheiratet. Das verstehen Sie doch sicherlich.«
»Gewiss.« Tisander hörte ihm weiterhin mit größtem Mitgefühl und größter Aufmerksamkeit zu.
Smithback, von neuem ermutigt, redete weiter. »Dieser mutmaßliche Mörder, der mir auf den Fersen ist, über den mache ich mir keine Sorgen. Ich kann auf mich selbst Acht geben. Ich muss mich nicht hier in den Bergen verstecken und so tun, als wäre ich ein Fall für die Klapsmühle.« Dr. Tisander nickte abermals. »Wie dem auch sei, mehr habe ich nicht zu sagen. Es mag ja sein, dass man mich mit den besten Absichten hierher gebracht hat. Tatsache aber ist: Ich kann keinen Augenblick länger hier bleiben.« Smithback erhob sich. »Wenn Sie also so freundlich wären, mir ein Taxi zu rufen? Ich bin mir sicher, Agent Pendergast wird die Kosten übernehmen. Ansonsten schicke ich Ihnen auch gern einen Scheck, sobald ich wieder in New York bin. Mr Pendergast hat mir auf der Fahrt hierher meine Geldbörse und meine Kreditkarten abgenommen.« Er blieb stehen.
Einen Augenblick herrschte Stille in dem Zimmer. Dann rückte Dr. Tisander auf seinem Stuhl langsam vor, legte die Arme auf den Schreibtisch und verschränkte die Finger. »Nun ja, Edward«, begann er in seinem ruhigen, freundlichen Tonfall, »wie Sie wissen …«
»Nun hören Sie endlich auf, mich Edward zu nennen«, unterbrach Smithback ihn verärgert. »Mein Name ist Smithback. William Smithback jr.«
»Bitte erlauben Sie mir, fortzufahren.« Eine Pause, noch ein mitfühlendes Lächeln. »Ich fürchte, ich kann Ihrer Bitte nicht stattgeben.«
»Das ist keine Bitte. Ich teile Ihnen mit, dass ich gehe. Sie können mich nicht gegen meinen Willen hier festhalten.«
Tisander räusperte sich geduldig. »Man hat Sie uns anvertraut. Ihre Familie hat diesbezügliche Dokumente unterzeichnet, Sie wurden zur Beobachtung und Behandlung hierher eingewiesen. Wir sind da, um Ihnen zu helfen, und um das zu tun, brauchen wir Zeit.«
Smithback starrte ihn ungläubig an. »Verzeihen Sie, Dr. Tisander, aber finden Sie nicht, wir sollten uns dieses Versteckspiel schenken?«
»Was denn für ein Versteckspiel, Edward?«
»Ich bin nicht Edward! Zum Donnerwetter. Ich weiß, was man Ihnen gesagt hat, und es gibt keinen Grund mehr für dieses So-tun-als-ob. Ich muss zurück an meinen Arbeitsplatz, zu meiner Frau, in mein Leben. Ich sage Ihnen, ich mache mir keine Sorgen wegen irgendeines Killers. Ich verlasse dieses Haus. Sofort.«
Dr. Tisander lächelte immer noch gütig, geduldig. »Edward, Sie sind hier, weil Sie krank sind. Dieses ganze Gerede von einem Job bei der New York Times, von einer Titelgeschichte, darüber, von einem Mörder gejagt zu werden – wir wollen Ihnen doch gerade helfen, von alldem loszukommen.«
»Was?«, stammelte Smithback erneut.
»Wie gesagt, wir wissen eine Menge über Sie. Ich habe hier eine fünfzig Zentimeter dicke Akte. Es gibt nur einen Weg, zu gesunden: Sie müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen, diese Wahnvorstellungen und Phantasien aufgeben, diese Traumwelt, die Sie bewohnen. Sie hatten nie einen Job, weder bei der Times noch sonst irgendwo. Sie sind nicht verheiratet. Und es ist kein Mörder hinter Ihnen her.«
Smithback ließ sich langsam in seinen Sessel zurücksinken, wobei er sich an den Lehnen festhielt. Ein schreckliches Kältegefühl übermannte ihn. Ihm fielen Pendergasts Worte auf der Fahrt von New York hier herauf ein. Plötzlich gewannen sie eine neue, unheilvolle Bedeutung. Der Direktor weiß alles über Sie. Er ist voll informiert, er besitzt die erforderlichen Unterlagen. Smithback wurde klar, dass der Direktor –
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