Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
Hier machte er eine kleine Pause, um das Gelände zu erkunden. Vom Treppenabsatz gingen vier Flure ab: Einer führte zum Speisesaal, ein anderer in die Bibliothek und den Westsalon, die anderen beiden in die Therapiebereiche und Verwaltungsbüros. Die Etage hier wirkte so still und verlassen wie die dritte. Ermutigt kam Smithback hinter dem Sideboard hervor.
Im selben Augenblick schloss weiter hinten im Verwaltungsflur jemand eine Tür. Rasch flitzte Smithback in sein Versteck zurück, kauerte nieder und wartete. Ein Schlüssel drehte sich in irgendeinem Schloss. Dann, vielleicht eine Minute lang, nichts mehr. Hatte sich irgendwer in einem Büro eingeschlossen? Oder hatte er die Tür von außen abgeschlossen? Smithback wartete eine weitere Minute. Noch immer nichts.
Gerade als er sich aufrappelte, kam jemand aus dem dunklen Verwaltungsflur in Sicht: ein Pfleger, er ging langsam, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Während er so dahinschlenderte, blickte er von rechts nach links, so als überprüfe er, ob auch alle Türen richtig verschlossen waren.
Smithback zog sich weiter ins Dunkel hinter dem Sideboard zurück, weder bewegte er sich, noch wagte er zu atmen, als der Pfleger über die gegenüberliegende Seite des Treppenabsatzes ging und in dem Flur verschwand, der zur Bibliothek führte.
Regungslos wartete Smithback weitere fünf Minuten. Dann stieg er mit tief gebeugtem Oberkörper die Treppe in den ersten Stock hinunter.
Hier war alles noch düsterer. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, rannte er über den breiten Flur, der zur Küche führte. Nach dreißig Sekunden erreichte er die schwere Doppeltür. Er blickte noch ein letztes Mal nach hinten und drückte mit der Hand gegen die Tür, um sich in die Küche zurückzuziehen.
Sie ging nicht auf.
Er drehte sich um und drückte fester dagegen.
Abgeschlossen.
Scheiße! Das hatte er nicht vorausgesehen, denn die Tür stand tagsüber immer offen.
Er kramte in seiner Hosentasche nach dem Kellerschlüssel – auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass man damit auch die Küchentür aufschließen konnte. So war es. Er blickte wieder über die Schulter nach hinten. Enttäuschung und wachsende Verzweiflung überkamen ihn. Es war ein so guter Plan gewesen. Und er hatte es fast geschafft, hier rauszukommen. Dass seine Bemühungen auf diese Weise vereitelt wurden… Dann hielt er inne. Vielleicht – aber nur vielleicht – gab es ja doch noch eine Chance.
Lautlos schlich er zum Treppenabsatz zurück. Er spähte hoch und lauschte, aber kein Geräusch drang aus dem samtartigen Dunkel. Ohne ein Geräusch zu machen, hastete er die Treppe zum zweiten Stock hinauf, huschte mitten über den Treppenabsatz und betrat den Speisesaal.
In dem riesigen, gespenstischen Raum war es grabesstill. Ein paar Streifen blassen Mondlichts fielen schräg durch die hohen Fenster und tauchten den Saal in ein unheimliches, fast schon phosphoreszierendes Licht. Rasch schlängelte sich Smithback zwischen den Tischen hindurch, die bereits zum Frühstück gedeckt waren, bis er ans andere Ende gelangte. Hier verlief parallel zur Wand ein dekorativer Paravent, der die Service- und Kellnerstationen verdeckte. Smithback verschwand hinter der Trennwand und steuerte – jetzt tiefer im Dunkeln – vorsichtig auf sein Ziel zu: den Speisenaufzug, der sich hinter einer 120 x 90 Zentimeter großen Metalltür ganz hinten im Raum befand.
Langsam und darauf bedacht, keinerlei Geräusche zu machen, packte Smithback die Metalltür und zog sie auf. Dahinter befand sich ein leerer Schacht. Ein dickes Seil, das an dessen Dach an einer Zugvorrichtung befestigt war, verschwand in der dunklen Tiefe darunter.
Smithback musste lächeln.
Während seines Küchendienstes hatte er gesehen, wie graue Wannen mit Silberbesteck und schmutzigem Geschirr aus dem Speisesaal durch diesen Aufzug heruntergekommen waren. Wenn er Glück hatte, würde der Aufzug bald eine ganz andere Fracht befördern.
Neben der Metalltür gab es mehrere Knöpfe, mit denen man den Speisenaufzug heraufholen oder hinunterlassen konnte. Smithback betrachtete sie in dem schwachen Licht und suchte den Hoch-Knopf. Er würde das Ding aus der Küche raufholen, reinklettern und runterfahren…
Plötzlich schrak er zusammen. In der Stille würde der Motor natürlich einen Heidenlärm verursachen. Außerdem war nicht ganz auszuschließen, dass jemand in der Küche war. Und er durfte sich auf keinen Fall
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