Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
Freude. Alles war sinnlos, vergebens.
Der Arno unter ihm, der nach den winterlichen Regenfällen angeschwollen war, floss kräuselnd dahin wie der Rücken einer Schlange, während Diogenes das tosende Wasser hörte, das über die
pescaia
einige hundert Meter flussabwärts strömte. Er spürte einen leichten Regentropfen auf der Wange, dann noch einen. Sogleich tauchten in der hastenden Menge schwarze Regenschirme auf, sie ruckten über die Brücke, als wären es schwarze Laternen …
e dietro le venìa sì lunga tratta
di gente, ch’i’ non averei creduto
che morte tanta n’avesse disfatta.
Er schlüpfte in seinen Regenmantel, zog den Gürtel fest, entrollte den Regenschirm und erlebte einen gewissen nihilistischen Kitzel, als er sich unter die Leute mischte, die die Brücke überquerten. Auf der anderen Seite blieb er am Ufer stehen und blickte zurück über den Fluss. Er konnte das
Klopf-Klopf
der Regentropfen auf dem Stoff des Regenschirms hören. Er konnte
sie
nicht sehen, aber er wusste, sie war da, irgendwo unter dem wogenden Meer der Regenschirme, und folgte ihm.
Er drehte sich um und schlenderte über die kleine Piazza am anderen Ende der Brücke, dann bog er auf die Via Santo Spi rito und unmittelbar danach auf den Borgo Tegolaio. Dort blieb er stehen, um in die Schaufensterauslage eines der schönen alten Antiquitätenläden zu blicken, die sich an der Via Maggio entlangzogen und mit goldenen Kerzenhaltern, alten silbernen Salzfässchen und düsteren Stillleben vollge stopft waren.
Er wartete, bis er sich sicher war, dass sie ihn gesehen hatte – er erhaschte nur einen Blick von ihr durch eine doppelte Spiegelung im Schaufenster. Sie trug eine Max-Mara-Tasche und sah auch nicht anders aus als diese wabbelnden amerikanischen Touristinnen, die Florenz in gedankenlosen Shopping-Herden heimsuchten.
Constance Greene, genau dort, wo er sie haben wollte.
Der Regen ließ nach. Diogenes klappte seinen Regenschirm zusammen, blieb aber am Ladenfenster stehen und studierte die ausgelegten Waren mit offenkundigem Interesse. Er beobachtete Constances fernes Spiegelbild, das fast nicht zu erkennen war, und wartete darauf, dass sie weiterging, hinein in das Meer der Regenschirme, und ihn so einen Augenblick aus den Augen verlor.
Sobald sie das getan hatte, fiel er in Laufschritt und spurtete lautlos den Borgo Tegolaio hinauf, während der Regenmantel sich hinter ihm bauschte. Rasch ging er mit gesenktem Kopf über die Straße und huschte in eine schmale Gasse, Sdrucciolo de’ Pitti; rannte bis ans Ende; bog wieder nach links ab und rannte die Via Toscanella hinunter. Dann lief er über eine kleine Piazza und ging weiter auf der Via dello Sprone, bis er einmal komplett im Kreis gegangen und wieder auf der Via Santo Spirito angekommen war, etwa fünfzig Meter vor dem Antiquitätengeschäft, wo er Augenblicke zuvor herumgebummelt hatte.
Kurz vor der Kreuzung zur Via Santo Spirito blieb er stehen und verschnaufte.
Rattenpelz, Krähenhaut, Vogelscheuche
Auf einem Feld
Diogenes zwang sich, wieder zur Sache zu kommen, wütend über die geflüsterte Stimme, die nie Ruhe gab. Wenn Constance sah, dass er nicht mehr auf der Straße war, würde sie annehmen – musste sie annehmen –, dass er rechts in die winzige Gasse abgebogen war, die unmittelbar hinter dem Antiquitätengeschäft lag: die Via dei Coverelli. Sie würde glauben, er wäre
vor
ihr und würde aus der entgegengesetzten Richtung auf sie zugehen. Doch so wie ein Kap-Büffel war er jetzt hinter ihr, ihre Positionen waren vertauscht.
In der Via dei Coverelli kannte er sich gut aus. Es handelte sich um eine der dunkelsten, schmalsten Straßen in Florenz. Die mittelalterlichen Gebäude zu beiden Seiten waren so erbaut worden, dass sie sich in Steinbögen über die Straße wölbten, so dass es darin, selbst an einem sonnigen Tag, düster wie in einer Höhle war.
Die Gasse nahm einen merkwürdigen Verlauf, während sie sichzur Kirche Santo Spirito zurückschlängelte, denn sie machte zwei Neunzig-Grad-Biegungen, ehe sie in die Via Santo Spirito mündete.
Diogenes setzte auf Constances Intelligenz und ihre unheimlichen Recherchefähigkeiten. Mit Sicherheit hatte sie einen Stadtplan von Florenz studiert und lange über den
momento giusto
nachgedacht, in dem sie ihren Angriff auf ihn starten würde. Und bestimmt würde sie die Coverelli-Gasse als den idealen Ort für einen Hinterhalt ansehen. Wenn er in die Coverelli eingebogen wäre, wie sie es glauben musste,
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