Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
brüllte, heulte oder sein Essen durch die Gegend schleuderte. Er fluchte nicht, bedrohte die Wärter nicht und schlug seine Zelle nicht zu Klump. Er war sauber und ordentlich, kämmte sich das Haar und wusch sich regelmäßig. Aber er hatte zwei seltsame Angewohnheiten, die dafür sorgten, dass er in Einzelhaft blieb. Er schlief so gut wie nie, und er verbrachte seine Wachstunden – seine
gesamten
Wachstunden – mit Getrommel. Nie laut, nie als offenkundige Provokation. Der Trommler war so vertieft in sein Tun, dass er seine Umgebung und die vielen Flüche und Drohungen, die gegen ihn ausgestoßen wurden, überhaupt nicht wahrnahm. Er schien sich nicht einmal bewusst zu sein, dass es überhaupt eine Außenwelt gab, sondern trommelte unbeirrt weiter, immer nach dem gleichen Muster, vollkommen konzentriert und durch nichts zu erschüttern. Seltsamerweise war es gerade die leise Monotonie der Trommelgeräusche,die sie unerträglich machte. Eine chinesische Wasserfolter fürs Gehör.
Die Verlegung des als A bekannten Gefangenen in eine Einzelzelle war mit der strikten Anweisung verbunden, ihm alle persönlichen Besitztümer abzunehmen, wozu auch –
vor allem,
wie der Direktor betont hatte – jegliche Schreibutensilien gehörten. Sie hatten alles konfisziert: Notizbücher, Füllfederhalter, Tinte. Der Gefangene konnte nichts tun, außer zuhören.
Ba-da-ba-da-ditti-ditti-bap-bap-happa-happa-bi-bop-bi-bop-ditti-ditti
-bumm!
Ditti
-bumm!
Ditti
-bumm!
Ditti-bada-bumm-bada-bumm-ba-ba-ba
-bumm!
Ba-da-ba-da
-plopp!
Ditti-ditti-datti-tapp-tapp-ditti-da-da-da-dit! Ditti-tapp-tapp-da-da-dadadada
-plopp!
Dit-ditti-dit-ditti-dap! Dit-ditti …
Fecteau hatte genug gehört. Es ging ihm bereits unter die Haut. Er deutete mit dem Kinn zum Ausgang und steuerte gemeinsam mit Doyle hastig den Flur entlang, um dem Getrommel zu entkommen.
»Ich geb ihm ’ne Woche«, sagte Fecteau.
»Eine Woche?«, schnaubte Doyle. »Das hält das arme Schwein keine vierundzwanzig Stunden durch.«
12
Lieutenant Vincent D’Agosta lag bäuchlings auf einem kahlen Hügel über dem Bundesgefängnis von Herkmoor im Bundesstaat New York. Neben ihm im gefrierenden Nieselregen hockte eine dunkle Gestalt. Es war Mitternacht. Das große Gefängnis, das sich in dem flachen Tal unter ihnen ausbreitete, wurde von hohen Scheinwerfern in gleißend gel bes Flutlicht getaucht, ein industrieller Retortenbau, so surreal wie eine riesige Ölraffinerie.
D’Agosta hob ein leistungsstarkes Fernglas an die Augen und betrachtete noch einmal prüfend die Gesamtanlage des Gefängniskomplexes. Die Anstalt bedeckte eine Fläche von mindestens acht Hektar, bestand aus drei flachen, ungeheuer großen Gebäudeblöcken, u-förmig angeordnet und umgeben von asphaltierten Gefängnishöfen, Wachtürmen, eingezäunten Service-Bereichen und Wachhäuschen. D’Agosta wusste, dass der erste Gebäudekomplex den Hochsicherheitstrakt beherbergte. Dort saßen die brutalsten Verbrecher ein, die das zeitgenössische Amerika zu bieten hatte – und das, dachte D’Agosta grimmig, wollte schon einiges heißen. Der zweite, wesentlich kleinere Komplex hieß offiziell
Bundeshaft- und Verlegungsanstalt für zum Tode verurteilte Straftäter.
Auch wenn die Todesstrafe im Staate New York abgeschafft war, konnte sie immer noch nach Bundesrecht verhängt werden, und in diesem Gebäudekomplex waren die wenigen Gefangenen untergebracht, die von Bundesgerichten zum Tode verurteilt worden waren.
Das dritte Gebäude trug ebenfalls einen Namen, den sich nur ein Gefängnisbürokrat ausdenken konnte:
Bundesuntersuchungsgefängnis zur vorläufigen Unterbringung und Verwahrung von extrem gefährlichen Gewaltverbrechern.
Darin saßen jene Gefangenen, die auf ihren Prozess wegen einiger verabscheuungswürdiger Verbrechen warteten, die nach Bundesrecht geahndet wurden: Männer, die man nicht auf Kaution freigelassen hatte und bei denen man die Gefahr eines Fluchtoder Ausbruchsversuchs als besonders hoch einschätzte. In diesem Trakt saßen Drogenbarone, einheimische Terroristen, Serienmörder und Männer ein, die wegen der Ermordung von FBI-Agenten angeklagt waren. Im Gefängnisjargon von Herkmoor hieß dieser Komplex nur das »Schwarze Loch«.
In diesem Komplex befand sich derzeit Special Agent A. X. L. Pendergast.
Einige sagenumwobene Staatsgefängnisse wie Sing-Sing und Alcatraz waren zwar dafür berühmt, dass noch nie einem Gefangenen die Flucht aus ihnen gelungen war, doch Herkmoor war das einzige
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