Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
Sorgen.« Glinn hielt inne, öffnete dann eine Schublade und fing an, einzelne Gegenstände herauszuholen und auf den Tisch zu legen: einen Flachmann mit Whisky, einen Computer-Flash-Drive, eine Rolle Klebeband, einen aufgerollten Bogen aluminierter Mylarfolie, eine Ampulle mit brauner Flüssigkeit, eine Injektionsspritze, eine kleine Drahtschere, einen Füllfederhalter und eine Kreditkarte.
»Und nun, Lieutenant, sollten wir die Vorbereitungsmaßnahmen durchgehen, die Sie ausführen werden, wenn Sie im Herkmoor sind …«
Als D’Agosta die beiden anderen Männer wesentlich später, nachdem all die Landkarten und Kisten und Baupläne wieder weggeräumt waren, zur Haustür der Villa brachte, blieb der alte Wren noch einen Moment zurück.
»Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen«, bat er, an D’Agostas Ärmel zupfend.
»Na klar.«
Wren beugte sich ganz weit zu ihm vor, als wolle er ihm ein Geheimnis anvertrauen. »Lieutenant, Sie wissen nichts über die … die
Umstände
von Constances früherem Leben. Lassen Sie mich nur so viel sagen, dass sie sehr … ungewöhnlich waren.«
D’Agosta zögerte, überrascht von der erregten Miene des alten Mannes. »Okay.«
»Ich kenne Constance sehr gut. Ich habe sie in diesem Haus gefunden, als sie sich hier versteckte. Sie war immer auf unbedingte Ehrlichkeit bedacht – manchmal auf fast schmerzliche Weise. Aber heute Abend hat sie das erste Mal gelogen.«
»Die weiße Maus?«
Wren nickte. »Ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Aber ich bin überzeugt, dass sie Probleme hat. Lieutenant, ihre Psyche gleicht einem Kartenhaus, das beim leisesten Windhauch zusammenzustürzen droht. Wir müssen beide sehr aufmerksam über sie wachen.«
»Danke für die Information, Mr. Wren. Ich werde so oft wie möglich hier vorbeischauen.«
Wren hielt seinen Blick einen Augenblick fest, sah ihn mit bemerkenswerter Eindringlichkeit an. Dann nickte er, schloss seine knochigen Finger mit kurzem Druck um D’Agostas Hand und eilte hinaus in die kalte Nacht.
20
Tief im Innern des Bundesuntersuchungsgefängnisses zur vorläufigen Unterbringung und Verwahrung von extrem gefährlichen Gewaltverbrechern, dem Schwarzen Loch von Herkmoor, saß der nur als A bekannte Häftling auf seiner Pritsche. Die zwei Meter mal drei Meter große Zelle war von asketischer Kargheit: frisch geweißte Wände, ein Zementboden mit einem Abfluss in der Mitte, in der Ecke eine Toilette, ein Wasch becken, ein Heizkörper und ein schmales Metallbett. Eine in die Decke eingelassene Neonbirne in einem Drahtkäfig spendete das einzige Licht der Zelle. Einen Lichtschalter gab es nicht: Das Licht ging um 6 Uhr morgens an und um 22 Uhr aus. Hoch oben an der anderen Wand befand sich das einzige Fenster, nicht mehr als ein vergitterter Spalt, fünf Zentimeter breit und vierzig Zentimeter hoch.
Seit mehreren Stunden saß der Häftling völlig reglos auf der Matratze. Er trug einen ordentlich gebügelten grauen Overall,sein schmales Gesicht war blass und ausdruckslos, die silbrigen Augenlider halb geschlossen, das weißblonde Haar zurückgekämmt. Kein Muskel zuckte in dem Gesicht, nicht einmal die Augenlider, während er den leisen, schnellen Klangfolgen aus der Nachbarzelle lauschte.
Es war ein Trommeln: ein Klangmuster von außergewöhnlicher rhythmischer Komplexität, das lauter und leiser wurde, sich beschleunigte und verlangsamte, vom Metallgitter des Bettes über die Matratze an die Wände von dort zur Toilette ans Waschbecken und an die Gitterstäbe und dann wieder zum Anfang zurückwanderte. Zurzeit trommelte der Häftling auf das eiserne Bettgestell, dazwischen ein gelegentlicher Schlag auf die Matratze oder eine andere Variation, während er mit Mund und Zunge rasche ploppende und klickende Geräusche machte.
Die endlosen Rhythmen wurden stärker und schwächer, wie ein zunehmender und wieder nachlassender Wind, steigerten sich in die Stakkatoraserei eines Maschinengewehrs und fielen dann wieder zu einer langsamen Synkopierung ab. Manchmal schien das Trommeln fast zu ersterben, aber nie ganz – ein einzelner ostinater Bass, ein hartnäckiges
tapp
…
tapp
…
tapp
zeigte an, dass es weiterging.
Ein Perkussionsfan hätte vielleicht die außergewöhnliche Vielfalt der rhythmischen Muster und Stile zu würdigen gewusst, die aus Einzelzelle 45 drangen: ein Kassagbe-Kongo-Takt ging in einen langsamen Funkout über, dann in einen Pop-and-Lock, bewegte sich nacheinander durch einen Shakeout, einen
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