Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
gesorgt, sich nie beschwert; die widerwärtigsten und dämlichsten Vorgesetzten hatte sie mit äußerster Korrektheit und größtem Respekt behandelt, so getan, als hätte sie ihre beleidigenden, vulgären Bemerkungen und anstößigen Angebote nicht gehört. Sie hatte sie alle mit Humor behandelt, als hätten sie irgendein kluges Bonmot geäußert.
Als die
Ozeania
vor vier Jahren vom Stapel lief, waren sie und zwei andere für das Kommando in Frage gekommen – sie selbst, außerdem Cutter und Thrale. Thrale hatte es bekommen, obwohl er von ihnen dreien der am wenigsten Befähigte war und zudem ein Alkoholproblem hatte. Cutter, der bessere Kapitän, war es wegen seines schwierigen, egozentrischen Charakters nicht geworden. Aber sie – der bei weitem beste Kapitän von allen – war übergangen worden. Warum?
Weil sie eine Frau war.
Dabei war das noch nicht mal das Schlimmste. Ihre Kollegen bemitleideten Cutter, obwohl viele den Mann nicht ausstehen konnten. Alle nahmen ihn beiseite und versicherten ihm, es sei eine Schande, dass er das Kommando nicht bekommen, dass er das Kapitänsamt verdient, dass die Reederei einen Fehler gemacht habe – und alle trösteten ihn damit, dass er mit Sicherheit das nächste Kommando bekommen werde.
Keiner hatte sie auf diese Weise beiseitegenommen. Niemand hatte sie getröstet. Sie alle hatten schlicht angenommen, dass sie als Frau sowieso nicht damit gerechnet habe und außerdem mit einem Kommando auch nicht zu Rande gekommen wäre. Die meisten waren gute Kameraden in der
Royal Navy
gewesen; das war ihr als Frau verweigert worden. Niemand hatte je davon erfahren, welch brennende Herabsetzung sie empfunden hatte – wohl wissend, dass sie von den dreien die beste Kandidatin war, mit der meisten Erfahrung und den besten Beurteilungen.
Sie hätte es schon damals erkennen müssen.
Und dann kam die
Britannia
. Der größte, luxuriöseste Ozeanriese, der je gebaut wurde. Er kostete die Reederei fast eine Milliarde Pfund. Und sie war nun die klare Favoritin. Das Kommando gebührte ihr, fast zwangsläufig …
Außer dass Cutter es bekam. Und dann hatte die Reederei, als wollte sie dieser Beleidigung noch eins draufsetzen, aus irgendeinem Grund gemeint, sie müsse dankbar sein, dass man sie mit dem Posten des Stellvertretenden Kapitäns abspeiste.
Cutter war nicht dumm. Er wusste sehr gut, dass sie das Kommando verdiente. Außerdem war ihm klar, dass sie der bessere Kapitän war. Und dafür hasste er sie. Er fühlte sich bedroht. Noch bevor sie an Bord gegangen waren, hatte er jede Gelegenheit genutzt, sie zu kritisieren, sie herabzusetzen. Und dann hatte er ihr klargemacht, dass er, anders als die meisten anderen Kapitäne von Linienschiffen, seine Zeit nicht damit vergeuden werde, mit den Passagieren zu plaudern und fröhliche Dinner am Kapitänstisch zu veranstalten. Er wollte seine Zeit auf der Brücke verbringen – ihren rechtmäßigen Platz usurpieren.
Prompt hatte sie ihm die Munition geliefert, die er in seinem Kampf gegen sie benötigte. Der erste Verweis wegen eines disziplinarischen Vergehens in ihrem ganzen Leben – und sie hatte ihn sich noch vor dem Auslaufen der
Britannia
eingehandelt. Da hätte sie begreifen müssen, unbewusst, dass sie nie ein großes Schiff kommandieren würde.
Es war schon merkwürdig, dass Blackburn ausgerechnet die Jungfernfahrt der
Britannia
gebucht hatte. Er hatte ihr vor Jahren einen Heiratsantrag gemacht, den sie aber wegen ihres brennenden Ehrgeizes abgelehnt hatte. Ironischerweise war er in dem Jahrzehnt seit ihrem Verhältnis zum Milliardär geworden.
Was für erstaunliche drei Stunden sie gemeinsam verbracht hatten, jeder Augenblick war wie eingebrannt in ihr Gedächtnis. Seine Suite war ein Traum. Er hatte den Salon mit seinen Lieblingsschätzen dekoriert: Millionen Dollar teure Gemälde, Skulpturen, seltene Antiquitäten. Besonders aufgeregt war er wegen eines tibetischen Gemäldes gewesen, das er erst kürzlich erworben hatte – offenbar binnen der letzten vierundzwanzig Stunden; in seiner Begeisterung und seinem Stolz hatte er das Bild aus seinem Kasten genommen und für sie auf dem Boden des Salons ausgerollt. Als sie es ansah, fühlte sie sich wie von einem Blitz getroffen; fasziniert, sprachlos war sie auf Hände und Knie gesunken, um es genauer zu betrachten, um mit Blicken und Fingern auch die kleinste Einzelheit in sich aufzunehmen. Es hatte sie angezogen, war geradezu in ihrem Kopf explodiert. Und noch während
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