Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
über das Gebirge von Nepal nach Tibet gekommen.«
»Und der Kasten? Sagte er etwas darüber?«
»Er sagte, es sei eine Antiquität, die er in Tibet gekauft hatte – Sie wissen ja, für ein paar Yuan würden diese dreckigen Tibeter ihre eigenen Kinder verkaufen. In der Autonomen Region Tibet wimmelt es ja nur so von altem Kram.«
»Haben Sie gefragt, was sich in dem Kasten befand?«
»Angeblich ein
phur-bu
-Ritualdolch.« Der Beamte wühlte in einer Schreibtischschublade herum, blätterte ein paar Dokumente durch und zog die Kopie der Ausfuhrgenehmigung hervor. Er schob sie Pendergast hin, der sie sich ansah.
»Aber der Kasten war verschlossen, und der Mann weigerte sich, ihn zu öffnen«, fuhr der Beamte fort. »Das hat ihn noch einiges mehr gekostet, diese Vermeidung einer Inspektion des Inhalts.« Er lächelte und entblößte seine Zähne, die braun vom Tee waren.
»Was, glauben Sie, befand sich in dem Kasten?«
»Ich habe keine Ahnung. Heroin, Devisen, Edelsteine?« Er machte eine Geste, die sein Desinteresse unterstrich.
Pendergast wies auf die Exportgenehmigung. »Hier steht, dass er mit dem Zug nach Chengdu fahren, dann mit
Air China
nach Beijing fliegen und von dort einen Flug nach Rom nehmen wollte. Stimmt das?«
»Ja. Es war notwendig, dass er mir sein Ticket zeigte. Wenn er versucht hätte, China auf einer anderen Route zu verlassen, hätte die Gefahr bestanden, dass er festgehalten wird. Die Ausfuhrgenehmigung gilt nur für die Strecke Qiang–Chengdu–Beijing–Rom. Ich bin also sicher, dass er diese Route genommen hat. Einmal in Rom angekommen natürlich …« Wieder spreizte er die Hände.
Pendergast notierte sich die Reiseinformationen. »Wie hat er sich verhalten? War er nervös?«
Der Beamte dachte kurz nach. »Nein. Es war sehr merkwürdig. Er schien … voller Freude. Überschwänglich. Fast euphorisch.«
Pendergast erhob sich. »Ich danke Ihnen ganz herzlich für den Tee,
xian sheng
.«
»Und ich danke Ihnen, wertester Herr«, sagte der Beamte.
Eine Stunde später saß Pendergast in einem Erster-Klasse-Wagen des Trans-China-Express auf dem Weg nach Chengdu.
[home]
6
Constance Greene wusste, dass die Mönche des Klosters Gsalrig Chongg nach einem festen Stundenplan lebten: Meditation, Studium und Ruhe wurden durch zwei Pausen für Mahlzeiten und Tee unterbrochen. Die Schlafperiode war festgelegt – von acht Uhr abends bis ein Uhr nachts. Von dieser Routine wurde nie abgewichen, sie war wahrscheinlich seit tausend Jahren unverändert. Daher ging sie davon aus, dass ihr um Mitternacht in dem gewaltigen Kloster kein Mensch über den Weg laufen würde.
Wie in den vergangenen drei Nächten warf sie also um Punkt zwölf die grobe Yakhaut zurück, die ihr als Decke diente, und setzte sich im Bett auf. Es war still bis auf das Wispern des Windes in den äußeren Pavillons des Klosters. Sie stand auf und schlüpfte in ihre Mönchsrobe. In der Zelle war es bitterkalt. Sie trat an das winzige Fenster und öffnete die Holzläden. Es war nicht verglast, und ein Schwall eisiger Luft strömte herein. Sie schaute in die Dunkelheit der Nacht hinaus; ein einzelner Stern funkelte hoch oben in der samtigen Schwärze.
Constance schloss das Fenster, ging zur Tür und lauschte. Alles war ruhig. Behutsam öffnete sie die Tür, schlüpfte in den Flur hinaus und ging den langen äußeren Flur entlang. Sie kam an den Gebetsmühlen vorbei, die endlos ihre Gebete gen Himmel klapperten, und betrat einen Gang, der tief hinein in das innere Labyrinth des Klosters führte. Sie war auf der Suche nach dem eingemauerten Einsiedler, dem Wächter des inneren Klosters. Zwar hatte Pendergast ihr den ungefähren Standort beschrieben, doch der Klosterkomplex war so riesig und die Gänge so verwinkelt, dass es sich als geradezu unmöglich erwies, ihn zu finden.
Aber in dieser Nacht kam sie nach vielen Abzweigungen endlich zu der von zahlreichen Händen blankpolierten Steinmauer, die die Außenwand seiner Zelle war. Auch der lose Ziegelstein fand sich, die Kanten von unzähligen Drehungen angeschlagen. Sie klopfte ein paarmal leicht darauf und wartete. Minuten vergingen, dann bewegte sich der Ziegelstein leicht; ein leises, kratzendes Geräusch, und er begann sich zu drehen. Knochige Finger, die an lange, weiße Würmer erinnerten, umfassten die Kante des Ziegelsteins und kippten ihn, so dass sich eine kleine Luke auftat.
Constance hatte vorher eine kleine Ansprache auf Tibetisch vorbereitet. Sie beugte sich vor
Weitere Kostenlose Bücher