Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
um sich. »Vielleicht wissen Sie nicht, was das Agozyen genau ist, aber Sie kennen seine Wirkung. Den Zweck, den es einmal erfüllen soll.«
»Die Zeit, das zu enthüllen, ist noch nicht gekommen. Das Agozyen wurde uns genommen.«
»Vorzeitig, meinen Sie?«
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Wir waren seine Hüter. Es ist unbedingt notwendig, dass es zu uns zurückkehrt, bevor …« Er verstummte.
»Bevor was?«
Wieder schüttelte der Mönch den Kopf. In dem schwachen Licht traten die Sorgenfalten in seinem verhärmten Gesicht stark hervor.
»Sie müssen es mir sagen. Es wird Pendergast helfen, es wird
uns
helfen, das Agozyen zu finden. Ich werde es niemandem außer ihm verraten.«
»Lasst uns die Augen schließen und meditieren«, sagte der Mönch. »Lasst uns meditieren und Gebete für seine baldige, sichere Rückkehr sprechen.«
Sie schluckte und versuchte, ihren Geist zu beruhigen. Es stimmte, ihr Verhalten war impulsiv. Die Mönche fanden es zweifellos schockierend. Aber sie hatte Aloysius etwas versprochen, und dieses Versprechen würde sie halten.
Der Mönch begann zu psalmodieren, und die anderen fielen ein. Der seltsame, monotone Sprechgesang erfüllte ihren Geist, und ihre Aggressivität, ihr verzweifeltes Bedürfnis, mehr zu erfahren, schienen aus ihr herauszufließen wie Wasser aus einem zerbrochenen Gefäß. Der dringliche Wunsch, Pendergasts Bitte zu erfüllen, ließ etwas nach. Ihr Geist war hellwach, fast ruhig.
Das Psalmodieren hörte auf. Langsam schlug sie die Augen auf.
»Suchst du immer noch leidenschaftlich eine Antwort auf deine Frage?«
Constance schwieg lange. Sie erinnerte sich an eine ihrer Lektionen – eine Lehre über das Begehren.
Sie senkte den Kopf. »Nein«, log sie. Sie wollte die Antwort mehr denn je.
Der Mönch lächelte. »Du hast noch viel zu lernen, kleiner Mönch. Du brauchst diese Information, du willst sie unbedingt, und sie wird dir von Nutzen sein – das wissen wir sehr gut. Aber es ist nicht gut für dich persönlich, danach zu streben. Dieses Wissen ist äußerst gefährlich. Es hat das Potenzial, nicht nur dein Leben zu zerstören, sondern auch deine Seele. Es könnte dich für alle Zeiten daran hindern, die Erleuchtung zu erlangen.«
Sie blickte auf. »Ich
brauche
die Antwort.«
»Wir wissen nicht, was das Agozyen genau ist. Wir wissen nicht, aus welcher Region Indiens es hierhergelangte. Wir wissen nicht,
wer
es erschaffen hat. Aber wir wissen, zu welchem Zweck es erschaffen wurde.«
Constance wartete.
»Es wurde erschaffen, um eine furchtbare Strafe über die Welt zu bringen.«
»Strafe? Was für eine Strafe?«
»Zur Reinigung der Erde.«
Aus unerfindlichen Gründen war Constance plötzlich unsicher, ob sie wollte, dass der Mönch fortfuhr. Sie zwang sich zum Sprechen. »Reinigen – und wie?«
Das sorgenvolle Gesicht des Mannes wurde fast trauervoll. »Ich bedaure sehr, dass ich dich mit diesem Wissen belasten muss. Wenn die Welt in Selbstsucht, Gier, Gewalt und Bosheit versinkt, wird das Agozyen die Erde von ihrer menschlichen Bürde befreien.«
Constance schluckte. »Ich weiß nicht genau, ob ich das verstehe.«
»Es wird die Erde
gänzlich
von ihrer menschlichen Last reinigen«, erklärte der Mönch sehr leise. »Damit ein neuer Anfang gemacht werden kann.«
[home]
7
Aloysius Pendergast stieg beim Ca’d’Oro aus dem Vaporetto und blieb kurz stehen. Es war ein warmer Sommertag, und das Sonnenlicht glitzerte auf dem Wasser des Canal Grande und lag warm auf den Marmorfassaden der Palazzi.
Pendergast blickte auf einen Zettel und ging dann den Anleger entlang Richtung Nordosten, auf das Gewirr von Gassen zu, die zur Chiesa dei Gesuiti führten. Bald hatte er Lärm und Trubel hinter sich gelassen und war tief in die kühlen, schattigen Seitengassen eingedrungen, die hinter den Palästen am Canal Grande entlangführten. Musik drang aus einem Restaurant. Ein kleines Motorboot flitzte über einen Seitenkanal und ließ das Wasser gegen Marmormauern und Brückenpfeiler schwappen. Ein Mann beugte sich aus einem Fenster und rief über das Wasser hinweg einer Frau etwas zu und brachte sie damit zum Lachen.
Nachdem Pendergast um ein paar Ecken gebogen war, stand er vor einer Tür mit einer abgegriffenen Bronzeklingel, über der schlicht
Dott. Adriano Morin
stand. Er drückte auf die Klingel und wartete. Kurz darauf öffnete sich über ihm quietschend ein Fenster. Er sah hoch. Eine Frau schaute heraus.
»Was wollen Sie?«, fragte sie auf
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