Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
Schlüsselkarte hindurch und studierte die Anzeige, die auf dem Display erschien. Dann gab er ein paar Zahlen ein, zog die Karte langsam noch einmal durch das Lesegerät und verstaute es wieder in seiner Tasche. Er drückte einen Knopf und wartete, während der Fahrstuhl in den siebten Stock hochruckelte.
Die Türen öffneten sich; vor Pendergast lag ein leerer, mit Leuchtstoffröhren grell erhellter Hotelflur, der wie unten die Lobby mit blau-goldenem Teppichboden ausgelegt war. Pendergast stieg aus dem Fahrstuhl, ging rasch zu Zimmer 714 und blieb stehen, um zu lauschen. Im Zimmer war es still, kein Licht brannte.
Er schob seine Schlüsselkarte ins Schloss, ein grünes Licht leuchtete auf, und die Tür sprang auf. Pendergast stieß sie behutsam auf, schlüpfte ins Zimmer und schloss die Tür rasch hinter sich.
Wenn er Glück hatte, würde er einfach den Holzkasten finden und sich wegschleichen, ohne den Bewohner des Zimmers zu wecken. Aber er hatte ein unbehagliches Gefühl. Er hatte Recherchen über Jordan Ambrose angestellt. Der Mann stammte aus Boulder in Colorado, seine Familie gehörte der oberen Mittelschicht an; er war ein ausgezeichneter Snowboarder, Bergsteiger und Mountainbiker, der das College abgebrochen hatte, um die sogenannten
Seven Summits
zu besteigen. Bisher war das nur etwa zweihundert Personen gelungen: die Besteigung des jeweils höchsten Berges auf jedem der sieben Kontinente. Ambrose brauchte vier Jahre dazu. Danach arbeitete er als hochbezahlter Bergführer, der Touren zum Everest, zum K2 und den Three Sisters führte. Im Winter verdiente er sein Geld mit extremen Snowboarding-Stunts für Videos, zudem bezog er Gelder aus Kapitalanlagen. Die Expedition zum Dhaulagiri war ein gut organisierter und finanzierter Versuch gewesen, die bislang unbezwungene Westwand des Berges zu besteigen – eine der letzten heroischen alpinen Herausforderungen, die es auf der Welt noch gab. Es war eine schwindelerregende, fast viertausend Meter hohe vergletscherte Wand mit häufigen Lawinenabgängen, schweren Stürmen und Temperaturschwankungen bis zu dreißig Grad Celsius. Zweiunddreißig Bergsteiger waren bereits bei dem Versuch umgekommen, und mit Ambroses Gruppe waren noch fünf weitere Todesfälle dazugekommen. Sie hatten nicht einmal die Hälfte des Weges zum Gipfel geschafft.
Dass Ambrose überlebt hatte, war bemerkenswert. Dass er sich bis zum Kloster hatte retten können, grenzte an ein Wunder.
Alles, was er seitdem getan hatte, passte nicht zu seiner Vorgeschichte. Jordan Ambrose brauchte kein Geld, ja, bis zum Zeitpunkt des Diebstahls hatte er sogar wenig Interesse daran gezeigt. Er war kein Sammler. Er beschäftigte sich nicht mit dem Buddhismus oder irgendeiner anderen Form der spirituellen Suche. Er war ein aufrichtiger und hochintelligenter Mann, dessen Interesse – man könnte fast sagen, Besessenheit – ausschließlich dem Bergsteigen galt.
Warum hatte er das Agozyen gestohlen? Warum hatte er es um die halbe Welt und durch ganz Europa geschleppt? Warum versuchte er nicht, es zu verkaufen? Was wollte er mit dieser »Teilhaberschaft« bezwecken, die er anstrebte? Warum hatte er sich geweigert, den Gegenstand irgendjemandem zu zeigen? Und warum hatte er entgegen jeder Bergsteiger-Ethik keinerlei Anstrengungen unternommen, sich bei den Familien der fünf verunglückten Bergsteiger zu melden, die allesamt enge Freunde von ihm gewesen waren?
Alles, was Jordan Ambrose seit Verlassen des Klosters getan hatte, passte überhaupt nicht zu ihm – und das beunruhigte Pendergast zutiefst.
Er verließ den Vorraum und betrat das dunkle Zimmer. Sofort stieg ihm der Geruch von getrocknetem Blut, der an rostiges Eisen erinnerte, in die Nase, und im grellen Licht der Autobahnbeleuchtung, die durch die Vorhänge hineindrang, sah er einen Körper auf dem Boden liegen.
Bestürzung und Verärgerung überkamen Pendergast. Mit der einfachen Lösung, auf die er gehofft hatte, würde es wohl nichts werden.
Er ließ den Regenmantel zugeknöpft und den Hut auf dem Kopf, als er mit der behandschuhten Rechten den Lichtschalter betätigte.
Vor ihm lag Jordan Ambrose.
Pendergasts Bestürzung nahm zu, als er den Zustand der Leiche sah. Ambrose lag auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet, den Mund geöffnet, die blauen Augen starrten zur Decke. Ein kleines Einschussloch in der Mitte der Stirn zeigte, dass er aus allernächster Nähe mit einer .22 praktisch exekutiert worden war. Es gab keine Austrittswunde. Die
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