Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
konnte. Und selbst wenn er’s wollte, sie verfügten nicht über die dafür erforderliche Anzahl von Leuten. Die Passagiere hatten ja keine Ahnung, wie wenig Sicherheitsbeamte an Bord eines Oceanliners waren.
»Verzeihen Sie die Frage, Mr Evered«, sagte LeSeur so behutsam wie möglich, »aber stehen Sie und Ihre Frau … auf gutem Fuß?«
»Was hat das damit zu tun, dass sie verschwunden ist?«, entgegnete Evered aufbrausend und wäre fast von der Bettkante aufgesprungen.
»Mr Evered, wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Vielleicht sitzt Ihre Frau wohlbehalten irgendwo in einer Lounge und ist immer noch wütend auf Sie.«
»Davon rede ich doch – suchen Sie sie!«
»Das werden wir tun. Als Erstes werden wir sie ausrufen lassen.« LeSeur besaß ein ziemlich gutes Bild vom Stand der Dinge. Das Paar durchlitt eine Krise. Sie hatten Probleme in der Ehe und die Überfahrt gebucht, um ihrem gemeinsamen Leben wieder ein wenig Zauber einzuhauchen. Vielleicht hatte Mrs Evered ihren Gatten dabei ertappt, wie er seine Sekretärin flachlegte, oder die Ehefrau selbst hatte sich zu einem kleinen nachmittäglichen Abenteuer mit einem Nachbarn verführen lassen. Und so hatte sich das Paar auf eine romantische Seereise begeben, um die Ehe wieder zu kitten, aber statt den Zauber zu finden, stritt das Paar während der gesamten Fahrt über den Atlantik.
Evered runzelte nochmals die Stirn. »Es war nur ein kleiner Streit, nichts Ernstes. Sie ist noch nie die ganze Nacht fortgeblieben. Verdammt, Sie müssen Ihre Leute zusammentrommeln und eine Suche …«
»Mr Evered«, unterbrach LeSeur höflich, »darf ich Ihnen einmal etwas sagen? Um Sie zu beruhigen?«
»Was?«
»Ich arbeite inzwischen seit vielen Jahren auf Passagierschiffen. Ich erlebe dergleichen andauernd. Ein Ehepaar streitet sich, der eine Partner ist wütend und geht. Mr Evered, es ist doch nicht so, als hätte Ihre Frau das Haus verlassen. Wir befinden uns auf der
Britannia
, dem größten Passagierschiff der Welt. Es gibt Hunderte, Tausende Dinge an Bord, die Ihre Frau abgelenkt haben können. Vielleicht spielt sie in einem der Casinos – die sind nämlich rund um die Uhr geöffnet, wissen Sie. Vielleicht lässt sie sich im Wellnessbereich verwöhnen. Oder kauft ein. Vielleicht hat sie sich auch einfach irgendwo hingesetzt und die Füße hochgelegt. Und ist dann eingeschlafen – wir haben zwei Dutzend von Lounges an Bord. Vielleicht hat sie auch zufällig jemanden getroffen, den sie kennt; eine Frau vielleicht, oder …«
LeSeur war so höflich, hier abzubrechen, aber was er damit sagen wollte, war klar.
»Oder was? Wollen Sie damit sagen, dass meine Frau einen anderen Mann kennengelernt hat?« Evered erhob sich vom Bett – die traurige Vorstellung ohnmächtiger Wut eines Mannes in den mittleren Jahren.
LeSeur stand ebenfalls auf und lächelte entwaffnend. »Mr Evered, Sie haben mich missverstanden. Ich wollte gewiss nichts dergleichen andeuten. Es ist nur so, dass ich so etwas schon Hunderte Male erlebt habe, und am Ende klärt sich dann alles auf. Immer. Ihre Frau vergnügt sich vermutlich nur irgendwo. Wir lassen sie ein paarmal ausrufen und bitten sie, uns oder Sie zu kontaktieren. Ich garantiere Ihnen, sie kommt zurück. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Bestellen Sie sich doch ein Frühstück für zwei in die Kabine. Ich wette, Ihre Frau ist wieder da, bevor es eintrifft. Ich lasse Ihnen eine Flasche Veuve Clicquot schicken, auf Kosten des Hauses.«
Evered bemühte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren.
»In der Zwischenzeit – haben Sie ein Foto Ihrer Frau, das Sie entbehren können? Wir haben natürlich Ihre Passfotos von der Einschiffung, aber es ist immer hilfreich, mehr als nur ein Foto zu haben. Ich lasse die Fotos unter unseren Sicherheitsleuten herumgehen, damit sie Ausschau nach Ihrer Frau halten können.«
Evered ging ins Bad. LeSeur hörte, wie ein Reißverschluss aufgezogen wurde, dann Geschlurfe und Herumgestöbere. Kurz darauf kam Evered mit einem Foto in der Hand ins Zimmer zurück.
»Machen Sie sich keine Gedanken, Mr Evered. Die
Britannia
ist eine der sichersten Gegenden der Welt.«
Evered sah ihn wütend an. »Wehe, wenn Sie damit nicht recht haben.«
LeSeur lächelte etwas gequält. »Aber nun bestellen Sie erst einmal ein Frühstück für zwei. Und damit guten Tag.« Er verließ die Suite.
Auf dem Gang blieb er stehen und sah sich das Foto an. Zu seinem Erstaunen war Mrs Evered recht
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