Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
»Verschwinden Sie!«
»Was?«, ließ sich die erste Stimme vernehmen.
»Ich sagte: Verschwinden Sie!«
Eine Pause. Dann ein Kichern. »Oh,
Scheiße!
«, hörte man die zweite Stimme. »Rog, wir haben’s vermasselt.«
»Nee, ich bin sicher, dass er 1039 gesagt hat.«
»Ich rufe den Sicherheitsdienst!«, kreischte die alte Frau.
Vom Gang hinter der Tür hörte sie lautes Gelächter, dann den Klang von Schritten, die sich entfernten.
Schwer atmend schob sie sich vom Türrahmen weg und betrachtete, auf den Stock gestützt, das dahinterliegende Zimmer. Ganz gewiss: Die Couch war unbenutzt. Die Uhr darüber zeigte halb zwölf. Man hatte sie verlassen. Sie war allein.
Mit stark klopfendem Herzen bewältigte sie den beschwerlichen Weg zurück ins Schlafzimmer, setzte sich aufs Bett, legte den Stock vorsichtig neben sich. Schließlich wandte sie sich zum Nachttisch um, griff zum Hörer und wählte die Null.
»Telefonzentrale der
Britannia
«, ließ sich eine angenehme Stimme vernehmen. »Womit kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Schicken Sie mir jemanden vom Sicherheitsdienst«, krächzte die alte Frau.
[home]
28
Anh Minh bemerkte den Glücksspieler sofort, als er an den Blackjack-Tischen im
Mayfair
eintraf. Mr Pendergast, das war der Name, den Mr Hentoff ihr genannt hatte. In seinem schwarzen Smoking sah er aus wie ein Bestattungsunternehmer, und sie schauderte ein wenig, als er in der Tür stehen blieb und den Blick durch den matt erleuchteten, elegant eingerichteten Raum schweifen ließ. Er musste wirklich mit sehr hohen Einsätzen spielen, wenn Mr Hentoff sie ihm als persönliche Cocktailkellnerin zuteilte, und sie wunderte sich über die merkwürdigen Anweisungen, die mit dem Auftrag einhergingen.
»Möchten Sie etwas zu trinken, Sir?«, fragte sie und trat auf ihn zu.
»Einen Gin Tonic, bitte.«
Als sie mit dem Drink zurückkam – nur Tonic, wie man ihr aufgetragen hatte –, unterhielt sich der seltsam aussehende Mann drüben bei den Tischen mit den hohen Einsätzen mit einem sehr hübschen, sehr gepflegten blonden Herrn in dunklem Anzug. Sie ging hin und wartete geduldig mit dem Glas auf dem Tablett.
»… und so«, sagte der Glücksspieler gerade in einem völlig anderen Akzent, »habe ich dem Burschen zweihundertsechsundzwanzigtausendundneunzehn Dollar gegeben, bar auf die Kralle, ich hab’s ihm in Hundertern hingeblättert, einen Schein nach dem andern – ein, zwei, drei, vier, und als ich bei fünf angekommen war, war da ein Zwanziger, und da hab ich gemerkt, dass ich beschissen worden war. Der Packen Hunderter war in der Mitte mit Zwanzigern durchsetzt! Ich war vielleicht genervt. Mit Zwanzigern, dazu Zehner und sogar ein paar Fünfer und Einer.«
»Entschuldigen Sie«, sagte der junge Mann, plötzlich verärgert. »Ihre Hunderter oder Zwanziger oder wovon zum Teufel Sie da reden, sind mir herzlich schnuppe.« Und damit verabschiedete er sich mürrisch und bewegte dabei die Lippen, als spreche er wütend mit sich selbst.
Pendergast wandte sich mit einem Lächeln an Anh. »Vielen Dank.« Er hob das Glas an, legte einen Fünfziger aufs Tablett und ließ den Blick erneut durch den Raum schweifen.
»Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen, Sir?«
»Ja, gern.« Er zwinkerte ihr zu. Leise sagte er: »Sehen Sie die Frau dort drüben? Die Übergewichtige im hawaiianischen Muumuu, die zwischen den Tischen mit den hohen Einsätzen umherspaziert? Ich möchte ein kleines Experiment durchführen. Wechseln Sie diesen Fünfziger, bringen Sie ihr auf Ihrem Tablett einen Haufen Scheine und Münzen, und sagen Sie ihr, das sei das Wechselgeld des Drinks, den sie bestellt habe. Sie wird sagen, dass Sie kein Getränk bestellt hat, aber Sie tun so, als verstünden Sie nicht, und fangen an, das Geld abzuzählen. Zählen Sie einfach weiter ab, unter Nennung möglichst vieler Zahlen. Wenn sie das ist, wofür ich sie halte, wird sie verärgert reagieren, so wie der junge Mann, mit dem ich eben gesprochen habe. Aber bewahren Sie die Ruhe.«
»Sehr wohl, Sir.«
»Vielen Dank.«
Anh ging zur Kasse und wechselte den Fünfziger gegen verschiedene Scheine und Münzen ein. Sie legte alles auf ihr Tablett und ging zu der Frau im Muumuu.
»Ihr Wechselgeld, Madam.«
»Wie bitte?« Die Frau sah sie zerstreut an.
»Ihr Wechselgeld. Zehn Pfund, fünf Pfund, zwei, ein …«
»Ich habe nichts zu trinken bestellt.« Die Frau ging weg.
Anh folgte ihr. »Ihr Wechselgeld. Zehn Pfund, drei mal ein Pfund macht dreizehn
Weitere Kostenlose Bücher