Pendergast 09 - Cult - Spiel der Toten
zurückkehrte. Eins hatte sein Vater ihm doch beigebracht – zu hassen.
Ein anderes seiner Mobiltelefone klingelte, das blaue. McMoultree, vor der Yeshiva University. Als Plock den Anruf entgegennehmen wollte, sah er etwas Merkwürdiges, einen Lincoln Town Car, der die Tenth Avenue in Richtung Norden hinaufraste, ein Pfleger in voller Notfallbekleidung am Steuer. Aber das Handy klingelte noch immer, weshalb er dem Wagen nur einen Augenblick lang hinterherschaute. Dann räusperte sich Plock leise, klappte das Handy auf und hielt es sich zuversichtlich ans Ohr.
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Der Rolls kam am Ende der 218. Straße zum Stehen und stellte sich auf einen Parkplatz zwischen einem schäbigen Lieferwagen und einem Jeep jüngeren Datums. Linker Hand erstreckte sich eine Reihe unscheinbarer Mietshäuser, rechter Hand das grüne Oval des Baker Field der Columbia University. Schätzungsweise zweihundert Menschen standen und saßen scheinbar ohne Ordnung auf der Sportanlage und auf den Tribünen, aber D’Agosta war überzeugt, dass sie sich auf den bevorstehenden Protestmarsch vorbereiteten. Auf der Fahrt durch Inwood waren ihm ähnlich verdächtige Gruppen aufgefallen. Chislett, dieser Ignorant, würde schon bald feststellen, dass er mit seinem Latein am Ende war.
»Wir gehen von der Seite rein, durch den Isham Park«, sagte Pendergast und schnappte sich einen Leinen-Seesack vom Rücksitz.
Sie joggten über Baseballplätze und gepflegte Felder, ehe sie mit einem Mal in den wilden Inwood Hill Park gelangten. Das Ville selbst lag noch hinter den Bäumen versteckt. Pendergast hatte einen guten Zugangsweg ausgewählt; die Bewohner des Ville würden ihr Augenmerk auf andere Stellen richten, so dass er und Pendergast unentdeckt auf das Gelände schleichen könnten. D’Agosta hörte die Geräusche, die von Süden her mit der Abendbrise herüberwehten: die Megafone, die Rufe der Demonstranten, die Drucklufthörner. Wer immer das hier geplant hatte, war ziemlich schlau – eine lautstarke Gruppe sollte die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich lenken, damit die anderen Gruppen sich organisieren und dann massenhaft vorrücken konnten. Wenn er und Pendergast Nora da nicht herausholten, bevor die Hauptgruppe sich in Gang setzte …
Pendergast, der vor ihm ging, blieb stehen, legte den Seesack auf den Boden, öffnete ihn und zog zwei dunkelbraune Roben heraus. D’Agosta, der in der kugelsicheren Weste, die er angezogen hatte, schon jetzt schwitzte, war froh, dass es ein kalter Tag war. Pendergast reichte ihm eine der Roben, und sofort zog D’Agosta sie sich über und legte sich die Kapuze eng um den Kopf. Pendergast folgte seinem Beispiel und betrachtete sich in einem Taschenspiegel, den er dann D’Agosta hinhielt. Nicht schlecht, wenn er die Kapuze aufhatte und den Kopf gesenkt hielt. Dann zog Pendergast weitere Ausrüstungsgegenstände aus dem Seesack – eine kleine Taschenlampe mit Extrabatterien, ein Messer, Meißel und Hammer, Dietriche – und verstaute alles in einer Hüfttasche, die er anschließend unter der Robe versteckte. D’Agosta fasste sich kurz an die Hüfte, um sicherzugehen, dass die Glock und die Ersatzmagazine griffbereit waren.
Pendergast verbarg den inzwischen leeren Seesack unter einem umgestürzten Baum, fegte ein wenig Laub darüber, dann nickte er D’Agosta zu, er solle ihm die Böschung hinauffolgen. Sie kletterten den steilen Hang hinauf und spähten darüber hinweg. Der Maschendrahtzaun rund um das Ville lag ungefähr sieben Meter entfernt, dieser Abschnitt war verrostet und verfallen, mehrere Lücken waren deutlich zu erkennen. Fünfzig Meter dahinter lag die unförmige Gruppe der Gebäude des Ville, schemenhaft im schwindenden Abendlicht, die große Silhouette der alten Kirche überragte alles.
D’Agosta erinnerte sich an das erste Mal, als er in diesem Wald gewesen war, damals hatte man ihm für seine Anstrengungen eins über den Schädel gezogen. Das würde ihm nicht noch einmal passieren. Er zog die Glock aus dem Holster und behielt sie in der Hand.
Er folgte Pendergast und rannte zum Maschendrahtzaun, schlüpfte durch eine der Lücken und lief gehockt zur Mauer, die um das Ville verlief. Sie schlichen um eine Ecke, bis sie zu einer kleinen, verfallenen Tür mit einem Vorhängeschloss gelangten. Ein kurzer Schlag mit Pendergasts Meißel, und das Vorhängeschloss und die Angeln gaben nach. Pendergast schob die Tür auf. Vor ihnen lag eine schmale, mit Unrat übersäte Gasse, die beinahe
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