Pendergast 09 - Cult - Spiel der Toten
sich bei dem Täter überhaupt um ihn handelte. »Es bleibt noch viel aufzuklären.«
Sie sah ihn noch einen Moment an, dann senkte sie den Blick auf die Bettdecke. »Ist die Wohnung noch versiegelt?«
»Nein. Seit heute Morgen zehn Uhr nicht mehr.«
Sie zögerte. »Ich werde heute Nachmittag entlassen, und ich … möchte möglichst rasch zurück in meine Wohnung.«
D’Agosta verstand sie. »Ich habe bereits alles … für Ihre Rückkehr veranlasst. Es gibt da eine Firma, die solche Aufträge kurzfristig übernimmt.«
Nora nickte und wandte sich ab.
Das war der Hinweis, dass er sie allein lassen sollte. D’Agosta erhob sich. »Vielen Dank, Nora. Ich halte Sie über unsere Fortschritte auf dem Laufenden. Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt – könnten Sie es mich wissen lassen?«
Wieder nickte sie, ohne ihn dabei anzusehen.
»Und vergessen Sie nicht, was ich gesagt habe. Wir werden Fearing finden. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«
[home]
7
Schweigend schritt Special Agent Pendergast durch den langen, schwach beleuchteten zentralen Flur in seiner Wohnung in der 72. Straße. Er ging durch eine elegante Bibliothek, ein Zimmer mit Ölgemälden aus Renaissance und Barock, einen temperaturregulierten Lagerraum, der vom Boden bis zur Decke mit alten Weinen in Teakholz-Regalen angefüllt war, und einen Salon mit Ledersesseln, kostbaren Seidenteppichen und Computerterminals, die mit den Datenbanken eines halben Dutzends Strafverfolgungsbehörden verkabelt waren.
Dies waren die öffentlich zugänglichen Räume in Pendergasts Wohnung, auch wenn wohl kaum mehr als ein Dutzend Personen sie je zu Gesicht bekommen hatten. Pendergast begab sich jetzt in Richtung seiner Privaträume, die nur ihm und Kyoko Ishimura bekannt waren, der taubstummen Haushälterin, die hier wohnte und sich um alles im Apartment kümmerte.
Im Laufe mehrerer Jahre hatte Pendergast diskret zwei angrenzende Wohnungen, sobald diese zum Verkauf standen, hinzu erworben und in seine eigene integriert. Nun erstreckte sich seine Residenz im Dakota-Gebäude über einen großen Teil der Front zur 72. Straße und sogar über einen Teil der Front zum Central Park. Ein riesiges, weitläufiges, doch ungemein privates Refugium.
Als er das Ende des Flurs erreicht hatte, öffnete er die Tür zu einem – wie es schien – Wandschrank. Tatsächlich war der kleine dahinterliegende Raum leer, bis auf eine weitere Tür in der gegenüberliegenden Wand. Pendergast löste die Sicherheitsvorkehrung der Tür, öffnete sie und betrat seine Privatgemächer. Rasch durchschritt er auch diese und nickte dabei Miss Ishimura zu, die in der geräumigen Küche stand und auf einem riesigen Restaurant-Herd eine Suppe aus Fischinnereien zubereitete. Wie alle Räume im Dakota-Gebäude verfügte auch die Küche über ungewöhnlich hohe Decken. Schließlich gelangte Pendergast an das Ende eines weiteren Flurs, an eine weitere unauffällig aussehende Tür. Dahinter lag sein Ziel: die dritte Wohnung, das Allerheiligste, das selbst Miss Ishimura kaum einmal betrat.
Er öffnete die Tür, die in einen zweiten wandschrankgroßen Raum führte. Dieses Mal befand sich am anderen Ende nicht eine weitere Tür, sondern vielmehr ein
shoji,
eine leichte Schiebetür aus Holz mit Reispapierbespannung. Pendergast schloss die Tür hinter sich, dann machte er ein paar Schritte und schob die
shoji
sanft zur Seite.
Dahinter lag ein beschaulicher Garten. Die Klänge von sanft tröpfelndem Wasser und Vogelgesang erfüllten die Luft, die bereits nach Fichtennadeln und Eukalyptus duftete. Das schwache, indirekte Licht ließ an einen späten Nachmittag oder frühen Abend denken. Irgendwo in der grünen Weite gurrte eine Taube.
Vor Pendergast lag ein schmaler Weg aus flachen Steinen, der von Steinlaternen gesäumt war und sich zwischen immergrünen Gewächsen hindurchschlängelte. Pendergast zog die
shoji
zu, überquerte das Kieselbankett und schritt den Weg hinunter. Es handelte sich um den
uchi-roji,
den inneren Garten eines Teehauses. Der ausgesprochen private, geradezu geheime Ort verströmte eine große Ruhe und regte den Geist zur Kontemplation an. Pendergast lebte inzwischen schon so lange damit, dass er beinahe seine Wertschätzung für diese Seltsamkeit eingebüßt hatte: ein vollständiger, in sich abgeschlossener Garten tief in einem riesigen Apartmenthaus in Manhattan.
Vor ihm kam, durch die Sträucher und Bonsaibäume hindurch, ein niedriges Bauwerk aus Holz in Sicht, schlicht und
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