Pendergast 09 - Cult - Spiel der Toten
tat Esteban so, als würde er straucheln und hinfallen, und zog dabei den Hebel hinunter.
Der Schuss ertönte, aber er war hoch gezielt und zerzauste nur seine Haare. Von der Decke kam ein Knirschen, während der Hebel seiner Apparatur einen falschen Erdrutsch auslöste. Es war kein echter Einsturz, natürlich nicht, sondern einer, der aus Styropor-Felsen bestand, zuvor angebrochenen und angemalten Sperrholzbalken und Sand und Kies, gemischt mit angemalter Styropor-Füllmasse. Er war nicht so tödlich wie ein echter Abbruch, aber es kam doch alles schnell und heftig herunter. Pendergast sprang beiseite, aber so schnell er auch reagierte, er konnte dem ziemlich schweren Material, das auf ihn herabprasselte, nicht mehr ausweichen. Unter dem langen, grollenden Donner aus Holzbalken und Füllmasse und Styropor wurde er niedergeworfen und darunter begraben. Esteban kraxelte nach vorn und entkam im letzten Augenblick der vorderen Kante der Lawine.
Alles war stockdunkel – die Lampe war zusammen mit dem Agenten begraben. Esteban hörte, wie die letzten Stückchen Kies herabregneten. Dann lachte er laut auf. Das war die Lawine, die die verfolgenden Gefängniswärter im Showdown von
Ausbruch aus Sing Sing
unter sich begrub, als der Held aus der Tunnelöffnung in Sicherheit sprang. Und jetzt hatte er die Szene wiedererschaffen – in der Realität!
Pendergast war offensichtlich kein Kinogänger. Wäre er es, dann hätte er den Tunnel möglicherweise wiedererkannt und erraten, was kommen würde. Schade für ihn.
Esteban watete in den vorgetäuschten Erdrutsch, kickte die Füllmasse weg und suchte nach Pendergast. Nachdem er das Geröll fünf Minuten lang weggeschoben hatte, entdeckte er den Lichtschein seiner Taschenlampe, immer noch eingeschaltet, und daneben den Agenten, blutig und staubbedeckt, betäubt durch die plötzliche Kaskade. Die Browning, die er ihm abgenommen hatte, lag neben ihm. Die eigene Waffe hatte der Agent noch in der Hand, das Handy lag in der Nähe. Er war von den Trümmerteilen schwer getroffen worden und konnte sogar tot sein, aber Esteban musste sichergehen. Zunächst mal schnappte er sich beide Waffen. Als Nächstes stellte er den Fuß auf das Handy und zertrat es. Dann hob er die Browning, prüfte das Magazin, zielte auf Pendergasts Brustbein und feuerte aus nächster Nähe zwei Kugeln ins Herz des Agenten, gefolgt von einem dritten Schuss, um sicherzugehen, während der Körper bei jedem Aufprall zuckte und Staub von Brust und Schultern nach oben waberte.
Auf dem Boden erschien ein Blutfleck, der sich ausbreitete.
Esteban stand da, inmitten des Staubs, und gestattete sich ein halbes Lächeln. Schade, dass diese kleine Szene nie auf der großen Leinwand zu sehen sein würde. Denn jetzt war es an der Zeit für den letzten Akt in seinem privaten Epos: die Frau umbringen und die Leichen beseitigen.
Alle vier.
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80
Laura Hayward ging vorsichtig durch die düsteren Kellergewölbe tief unter den Gassen und Höfen des Ville. Die Schreie und Rufe über ihr, die ein Crescendo erreicht zu haben schienen, hatten jäh aufgehört. Entweder hatten die Ausschreitungen auf den Inwood Hill Park übergegriffen, oder sie war zu tief ins Erdreich hinabgestiegen, um sie zu hören. Die Gänge im Untergeschoss des Ville breiteten sich über mehrere Ebenen aus und waren in zahlreichen architektonischen Stilen gehalten, von kruden, per Hand aus dem Gestein geschlagenen Grotten bis zu kunstvollen, mit Steinwänden versehenen Räumen mit Kreuzgratgewölben. Es war, als ob aufeinanderfolgende Wellen von Bewohnern mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und großem Kunstverstand die unterirdischen Räume je nach ihren Zwecken geschaffen hatten.
Ein rascher Blick auf ihre Armbanduhr zeigte, dass sie die Kellerräume inzwischen seit einer Viertelstunde erkundete – fünfzehn Minuten voller Sackgassen und Umwege, jeder verwirrender und makabrer als der vorherige. Wie weit erstreckte sich dieses unterirdische Labyrinth eigentlich? Und wo steckte Vincent? Mehr als einmal hatte sie überlegt, ob sie nach ihm rufen sollte, aber jedes Mal hatte ihr sechster Sinn sie davor gewarnt. Ihr Funkgerät erwies sich als nutzlos.
Jetzt blieb sie an einer Kreuzung stehen, von der vier kurze Gänge zu Türen mit Eisenbeschlägen fortführten. Sie wählte einen Gang aufs Geratewohl, ging ihn entlang, blieb an der Tür stehen, um zu horchen, dann öffnete sie die Tür und trat hindurch. Dahinter lag ein schmutziger und
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