Pendergast 09 - Cult - Spiel der Toten
in dieser Extremsituation, in der das eigene Leben kurz vor dem Ende stand, schien sie schließlich auf irgendeine Weise mit ihrem Verlust zu Rande zu kommen.
Ein gedämpftes Rumoren, eine tiefe Vibration, die in der Luft lag und durch die Wände drang, holte sie in die Gegenwart zurück. Sie setzte sich auf, plötzlich hellwach, die Kopfschmerzen waren vorübergehend vergessen. Das Rumoren setzte sich fort, bis es in der Stille verebbte. Minuten später folgte ihm das laute
Peng! Peng!
zweier Schüsse, gefolgt von einer kurzen Pause und dann einem dritten Schuss.
Der Schock, den die Schüsse auslösten, so laut und jäh nach einer so langen Stille, elektrisierte sie. Irgendetwas passierte dort, und es könnte ihre einzige Gelegenheit zum Handeln sein. Sie lauschte angestrengt. Zunächst schwach, dann deutlicher ertönten Geräusche, wie wenn irgendetwas über den Kellerboden geschleift wurde. Ein Ächzen, Pause, weiteres Schleifen. Stille. Und dann der Laut, als der Schlitz in ihrer Tür geöffnet wurde.
Die Stimme ihres Kerkermeisters ertönte. »Du bekommst Besuch!«
Nora rührte sich nicht.
Ein Licht schien durch die Öffnung, das Relief der schwarzen Gitterstäbe wurde an die gegenüberliegende Wand geworfen.
Immer noch wartete Nora. Ihn dazu zwingen, einzutreten, und ihn dann dazu bringen, dass er sie angriff – das war ihre einzige Chance.
Sie hörte, dass sich ein Schlüssel im Schloss drehte, sah, wie die Tür einen Spalt aufschwang. Doch anstatt einzutreten, ließ ihr Kerkermeister etwas Schweres zu Boden fallen – einen menschlichen Körper –, trat sofort danach wieder hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Im matten Licht starrte sie auf das Gesicht, das als Silhouette im Licht aus dem vergitterten Fenster zu erkennen war: die fein geschnittenen Gesichtszüge, die hohen Wangenknochen, die marmorne Haut und das dünne Haar, die Augen wie Schlitze, so dass sich nur das Weiße zeigte, Staub und Blut im Haar verklebt, der einst schwarze Anzug nun von einem puderigen Grau, zerknittert und zerrissen. Eine Lache dunklen Bluts breitete sich auf dem Hemd aus.
Pendergast. Tot.
Sie schrie auf vor Überraschung und Entsetzen.
»Ein Freund von dir?«, höhnte die Stimme durch den Sehschlitz. Das Schloss drehte sich, das Vorhängeschloss rasselte, und alles lag wieder im Dunkel.
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82
Alexander Esteban eilte zurück durch die Kellerräume, die er so gut kannte, und stieg zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe zum Erdgeschoss hinauf. Gleich würde er aus der Scheune und draußen sein. Es war eine frische, kalte Herbstnacht, die Sterne funkelten klar am samtschwarzen Himmel. Er fiel in Laufschritt und lief zu seinem Wagen, riss die Tür auf und schnappte sich – Gott sei Dank,
Gott
sei Dank – den braunen Umschlag, der auf dem Beifahrersitz lag. Er öffnete ihn, zog die darin befindlichen alten Pergamentbögen hervor, prüfte sie und schob sie wieder hinein.
Schwer atmend lehnte er sich an den Wagen. Sie war albern, diese Panik. Natürlich war das Dokument in Sicherheit. Es war ohnehin für niemanden etwas wert, außer für ihn. Wenige würden es überhaupt verstehen. Trotzdem: Es hatte ihn furchtbar gepeinigt, als er daran dachte, dass es hier ungeschützt im Auto lag. Er hatte alles so sorgfältig geplant, Beziehungen gepflegt, mehrere Vermögen ausgegeben, in die Irre geführt und bestochen, eingeschüchtert und gemordet – und das alles für diese zwei Seiten Pergament. Dass es unbewacht im Wagen gelegen hatte, irgendeinem opportunistischen kleinen Dieb oder gar den Kapriolen des Wetters auf Long Island ausgesetzt – der Gedanke war eine Pein gewesen. Aber alles war gut ausgegangen. Es war in Sicherheit. Und jetzt, da er das Dokument wieder in Händen hielt, konnte er es sich leisten, über seine Paranoia zu lachen.
Etwas wehmütig vor sich hin lächelnd, ging er zurück ins Haus, schritt durch die großen, nachtdunklen Räume in sein Büro und öffnete den Safe. Er legte das Kuvert hinein und betrachtete es einen Augenblick lang liebevoll. Jetzt war er beruhigt. Jetzt konnte er in den Keller zurückgehen und die Sache zum Abschluss bringen. Pendergast war tot, er musste nur noch die Frau töten. Ihre Leichen würden tief unter das Kellergeschoss kommen – den Ort hatte er schon bestimmt –, und niemand würde sie je finden.
Er schob die schwere Stahltür zu und tippte den elektronischen Code ein. Während der Verschlussmechanismus surrte und die Drehtrommeln
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