Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
geschieden?«
Pendergast lächelte kühl. »Ich glaube, wir werden feststellen, dass Rathe etwas völlig anderes damit gemeint hat.«
Er fuhr langsam die Zufahrt hinauf bis zu einer Wendeschleife vor dem Haus, wo er bremste und den Motor ausschaltete. D’Agosta blickte zur Veranda hinauf. Ein untersetzter, ungefähr sechzig Jahre alter Mann saß in einem großen Korbstuhl, die Beine ruhten auf einem hölzernen Schemel. Er trug einen weißen Leinenanzug, so dass sein fleischiges Gesicht noch roter wirkte, als es ohnehin schon war. Ein dünner Kranz aus roten Haaren, ähnlich einer Mönchstonsur, umgab sein Haupt. Der Mann trank einen Schluck irgendeines Getränks aus einem hohen, beschlagenen Glas, dann stellte er es heftig auf einem Tisch ab, neben einen halbvollen Krug desselben Getränks. Seine Bewegungen hatten das etwas Schlaffe, Ausschweifende eines Betrunkenen. Rechts und links von ihm standen zwei Afrikaner mittleren Alters, hager aussehend, in verblichenen Madras-Shorts. Der eine trug ein Barhandtuch über den Unterarm, der andere hielt einen Fächer in beiden Händen, der an einem langen Griff befestigt war, und wedelte damit langsam über den Korbstuhl.
»Ist das Wisley?«
Pendergast nickte. »Er ist nicht gut gealtert.«
»Und die anderen beiden – sind das die ›Jungs‹?«
Pendergast nickte nochmals. »Wie es scheint, muss dieser Ort erst noch im zwanzigsten Jahrhundert ankommen, vom einundzwanzigsten ganz zu schweigen.«
Und dann stieg er langsam und sehr behutsam aus dem Wagen, wandte sich zum Haus um und erhob sich zu voller Größe.
Wisley – auf der Veranda – blinzelte einmal, zweimal. Er blickte von D’Agosta zu Pendergast und machte den Mund auf, um etwas zu sagen. Doch als er den FBI -Agenten erblickte, erstarrte seine Miene. Der leere Gesichtsausdruck wich einem Entsetzen des Wiedererkennens. Fluchend erhob sich Wisley abrupt aus seinem Stuhl, wobei er sein Glas und die Karaffe umstieß. Dann packte er eine Elefantenbüchse, die an der hölzernen Balustrade gelehnt hatte, zog eine Fliegengittertür auf und schlurfte ins Haus.
»Schuldbewusster kann man sich gar nicht benehmen«, sagte D’Agosta. »Ich … oh, verdammter Mist.«
Die beiden Angestellten waren hinter dem Verandageländer außer Sicht geraten. Aus der Richtung der Veranda ertönte ein lauter Schuss, gleichzeitig spritzte hinter D’Agosta und Pendergast Staub auf.
Sie warfen sich hinter den Jeep. »Was zum
Teufel?
«, sagte D’Agosta, tastete nach seiner Glock und wollte sie ziehen.
»Bleiben Sie unten.« Pendergast sprang auf und lief los.
»Hey!«
Noch ein Knall, dann bohrte sich eine Kugel scheppernd in die Seite des Jeeps, worauf eine kleine Wolke zerfetzten Polstermaterials aufstob. D’Agosta spähte, die Waffe in der Hand, um den Reifen zum Haus hinauf. Wo zum Teufel steckte Pendergast?
D’Agosta wich zurück – und zuckte zusammen, als er hörte, wie ein dritter Schuss vom Stahlrahmen des Jeeps abprallte. Verflucht noch mal, er konnte doch nicht einfach wie eine Schießbudenfigur hier rumsitzen. Er wartete, bis eine vierte Kugel über ihn hinwegpfiff, dann hob er den Kopf über die Stoßstange des Jeeps und brachte seine Waffe in Anschlag, während sich der Schütze hinter die Balustrade duckte. D’Agosta wollte gerade abdrücken, als er sah, wie Pendergast aus dem Gebüsch direkt unterhalb der Veranda auftauchte. Erstaunlich behende sprang er über das Geländer, fällte den afrikanischen Schützen mit einem kurzen und heftigen Handkantenschlag in den Nacken und richtete seine 45er auf den anderen Bediensteten. Der hob langsam die Arme.
»Sie können jetzt raufkommen, Vincent«, sagte Pendergast, während er die Waffe an sich nahm, die neben dem stöhnenden Mann lag.
Sie fanden Wisley im Obstkeller. Während sie ihm immer näher kamen, gab er aus der Elefantenbüchse mehrere Schüsse ab, allerdings – aufgrund seiner Angst oder seines Alkoholkonsums – völlig unkontrolliert. Außerdem führte der Rückschlag dazu, dass er der Länge nach hinschlug. Bevor Wisley nochmals schießen konnte, war Pendergast blitzschnell nach vorn gelaufen, stellte den Fuß auf die Büchse und brachte Wisley mit zwei schnellen, harten Schlägen ins Gesicht zur Räson. Der zweite Schlag brach ihm die Nase, so dass helles Blut auf sein gestärktes weißes Hemd spritzte. Pendergast griff in die Brusttasche seines Hemds, zog ein Taschentuch hervor und reichte es Wisley. Dann packte er ihn am Oberarm, stieß
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