Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
ihn vor sich her aus dem Obstkeller, die Kellertreppe hinauf und aus der Eingangstür auf die Veranda, wo er ihn in den Korbstuhl schubste.
Wie vom Donner gerührt standen die beiden Angestellten noch immer am selben Fleck. D’Agosta fuchtelte mit seiner Glock vor ihnen herum. »Geht hundert Meter die Straße runter. Dann bleibt stehen, wo wir euch sehen können, und zwar mit hoch erhobenen Händen.«
Pendergast steckte sich die Les Baer hinter den Hosenbund und pflanzte sich vor Wisley auf. »Danke für Ihr herzliches Willkommen.«
Wisley drückte sich das Taschentuch an die Nase. »Ich muss Sie mit jemand anders verwechselt haben.« Er sprach, so kam es D’Agosta jedenfalls vor, mit australischem Akzent.
»Im Gegenteil, ich beglückwünsche Sie zu Ihrem hervorragenden Erinnerungsvermögen. Ich glaube, Sie haben mir etwas zu sagen.«
»Ich habe Ihnen gar nichts zu sagen, Kumpel«, antwortete Wisley.
Pendergast verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich frage Sie nur ein einziges Mal: Wer hat den Mord an meiner Frau eingefädelt?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, lautete die gedämpfte Antwort.
Pendergast blickte auf Wisley hinunter, dessen Lippen zuckten. »Lassen Sie mich Ihnen etwas erklären, Mr. Wisley«, sagte er nach einem Augenblick. »Ich kann Ihnen versichern, dass Sie mir
sagen werden,
was ich wissen will. Wie viel Demütigung und Unannehmlichkeit Sie über sich ergehen lassen, bevor Sie es mir verraten, diese Entscheidung können Sie frei treffen.«
»Verpiss dich!«
Pendergast betrachtete den schwitzenden, blutenden Mann, der da mit ausgestreckten Gliedern auf dem Stuhl saß. Dann beugte er sich vor und zog Wisley auf die Füße. »Vincent«, sagte er nach hinten über die Schulter, »begleiten Sie Mr. Wisley zu unserem Fahrzeug.«
D’Agosta bohrte Wisley die Glock in den Rücken und stieß ihn in Richtung Jeep und dort auf den Beifahrersitz, danach stieg er hinten ein und wischte ein paar kleine Trümmerteile vom Sitz. Pendergast startete den Motor und fuhr den Weg zurück, vorbei am smaragdgrünen Rasen und den Technicolor-Blumen, vorbei an den beiden Angestellten – die reglos wie Statuen dastanden – und in den Dschungel.
»Wohin bringen Sie mich?«, wollte Wisley wissen, während sie um die Kurve bogen und das Haus aus dem Blickfeld geriet.
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Pendergast.
»Was soll das heißen – Sie haben keine Ahnung?« Wisleys Stimme klang nicht mehr ganz so selbstsicher.
»Wir gehen auf eine Safari.«
Gemächlich fuhren sie eine Viertelstunde weiter. Das hohe Gras wich einer Savanne und einem breiten, schokoladenbraunen Fluss, der so träge wirkte, als hätte er gar keine Strömung. D’Agosta sah zwei Flusspferde, die am Flussufer spielten, und einen riesigen Schwarm storchähnlicher Vögel mit dünnen gelben Beinen und einer enormen Spannweite, die wie eine weiße Wolke vom Wasser aufstiegen. Die Sonne hatte sich Richtung Horizont gesenkt, und die Gluthitze des Mittags hatte nachgelassen.
Pendergast nahm den Fuß vom Gaspedal und ließ den Jeep auf der mit Gras bewachsenen Uferböschung ausrollen. »Das hier scheint mir eine geeignete Stelle zu sein.«
D’Agosta sah sich verwirrt um. Der Ausblick war ein wenig anders als die Landschaft, durch die sie auf den letzten acht Kilometern gekommen waren.
Plötzlich stutzte er. Denn in ungefähr vierhundert Meter Entfernung, ein wenig abseits des Flusses, sah er ein Rudel Löwen, die an einem Skelett nagten. Wegen ihres sandfarbenen Fells hatte er die Tiere in dem niedrigen Grasland zunächst nicht wahrnehmen können.
Wisley saß ganz starr auf dem Vordersitz und stierte in die Richtung. Er hatte die Löwen sofort gesehen.
»Steigen Sie bitte aus, Mr. Wisley«, sagte Pendergast sanft.
Wisley rührte sich nicht vom Fleck.
D’Agosta legte seine Waffe an Wisleys Genick. »Los.«
Steif und langsam stieg Wisley aus dem Jeep.
»Sieht wie alte Beute aus«, sagte Pendergast und wies mit seiner Waffe auf das Rudel. »Ich schätze mal, die haben Hunger.«
»Löwen fressen keine Menschen«, sagte Wisley. »Nur ganz selten.« Doch der polternde Ton war aus seiner Stimme gewichen.
»Die Löwen müssen Sie ja nicht fressen, Mr. Wisley«, sagte Pendergast. »Das wäre sozusagen nur das Tüpfelchen auf dem i. Wenn die Löwen glauben, dass Sie es auf ihre Beute abgesehen haben, werden sie angreifen. Aber Sie wissen ja alles über Löwen.«
Wisley schwieg und starrte zu den Tieren
Weitere Kostenlose Bücher