Penelope Williamson
der Hafenkneipe endlich
loszuwerden und damit auch die Erinnerung an einen langen Nachmittag im Wald
von Falmouth Neck ...
Delia kam
langsam die Treppe herunter. Eine Hand mit den kostbaren Spitzhandschuhen lag
dabei leicht auf dem schweren Geländer. Nat wartete unruhig unten in der Halle
auf sie. Er hob den Kopf und wollte auf sie zugehen, aber dann blieb er wieder
stehen. Sie sah das Staunen auf seinem Gesicht, und plötzlich mußte er unwillkürlich
lächeln.
»Sie sehen unglaublich schön aus, Delia!« brach es zu seiner
eigenen Überraschung aus ihm heraus, und er wurde sofort aus Verlegenheit rot.
»Ein solches Kompliment hat mir noch niemand gemacht«, sagte
Delia schnell, um ihm über die Verlegenheit hinwegzuhelfen. Dabei dachte sie:
Warum muß ich mir eigentlich immer Gedanken um die Gefühle anderer machen?
Ihre Bemühungen blieben ohne Erfolg. Nat
runzelte die Stirn und reichte ihr zwar den Arm, aber er berührte sie kaum, als
sie zur Haustür gingen. Er hielt einen so großen Abstand, daß ihr Rock noch
nicht einmal sein Bein streifte. Außerdem hinkte er auffälliger denn je über
Annes schwarzweißen Boden.
Delia saß ein Kloß im Hals. Sie biß die Zähne
zusammen und ermahnte sich streng: Hör auf, Delia, dich wie ein eigensinniges
Kind zu benehmen. Was hast du denn erwartet? Glaubst du, anstelle von Nat
würde dir Tyl den Arm reichen und dich verliebt ansehen? Nat braucht eine
Frau, und du brauchst ein Zuhause. Nur wenige Ehen beginnen mit Liebe und noch
weniger enden mit Liebe. Delia, du willst immer nach den Sternen greifen.
Heirate diesen Mann, und gib dich damit zufrieden.
Die kurze Trauung sollte auf der Gemeindewiese
unter dem Wetterhahn stattfinden. Danach hatten alle einen guten Grund zu feiern.
Deshalb warteten die Einwohner von Merrymeeting auch bereits ungeduldig auf das
Brautpaar. Als sich die Haustür öffnete, richteten sich alle Blicke
erwartungsvoll auf die Braut und den Bräutigam.
Tildy saß rittlings auf dem Querbalken am
Sattelplatz und spielte »Reiten«. Sie stieß mit den Fersen in die Luft und
übte dabei lautes Wiehern. Als sie sah, daß ihr Vater und Delia aus dem Haus
traten, war sie so verblüfft, daß sie vom Balken fiel und mit Händen und Knien
auf der Erde landete. Sie wollte anfangen zu weinen, überlegte es sich jedoch
anders, denn sie wußte, gleich würde etwas Wundervolles geschehen, und das
wollte sie auf keinen Fall verpassen.
Sie stand wieder auf und lief den beiden entgegen. »Papa, Papa!« rief
sie aufgeregt. »Ist es soweit? Bekommen wir endlich unsere neue Mama?«
Sie umklammerte Nats Bein und griff nach dem langen Gehrock. Er
beugte sich vor und klopfte den Staub von ihrem neuen rosa Kleidchen. »Matilda,
du hast mir versprochen, dich heute nicht schmutzig zu machen! Und wo sind
deine neuen Schuhe geblieben?« fragte er streng. Das heißt, er bemühte sich,
streng zu sein, in Wirklichkeit mußte er ein Lachen unterdrücken. Er sah Delia
mit schiefem Lächeln an. »Ich hatte gehofft, sie würde wenigstens einmal so
lange nicht im Dreck sitzen, bis wir verheiratet sind.«
Delia nahm die kleine Tildy lachend hoch und setzte sie, ohne auf
die schmutzigen nackten Füße zu achten, auf ihre Hüfte. »Ja, mein Schatz«,
sagte sie und drückte einen Kuß auf ihre glühenden Pausbacken. »Es ist soweit.
Dein Papa und ich, wir heiraten.«
Tildy jubelte laut und klatschte in die
Händchen.
Mit Tildy auf dem Arm betrat Delia die Gemeindewiese. Unwillkürlich
suchten ihre Augen das geliebte Gesicht. Als sie Tyl nicht sofort entdeckte,
wurde ihre Enttäuschung noch größer und der Schmerz in der Brust noch
quälender. Sie war den Tränen nahe.
Er hat es noch nicht einmal für nötig gehalten, zu meiner Hochzeit
zu kommen! Bedeute ich ihm denn überhaupt nichts? Läßt es ihn wirklich völlig
gleichgültig, daß ich einen anderen heirate?
Aber schließlich entdeckte sie Tyl. Er lehnte
im Hintergrund lässig an einem der langen Tische, auf dem sich die Speisen und
Getränke für das Fest türmten. Er hatte die hohen Stiefel gekreuzt und die Arme
über der Brust verschränkt. Ihre Blicke trafen sich, aber sein Gesicht blieb
ausdruckslos, obwohl seine Lippen so schmal wie Striche waren. Delia schlug die
Augen sofort nieder.
Auch Nat blickte sich suchend um. »Wo ist denn
Meg?«
»Meg ist wütend«, antwortete Tildy. Sie hatte Delia einen Arm um
den Hals gelegt und drückte sich an ihre Wange. Ihr Atem roch nach Milch und
Maisbrei. »Meg will nichts von
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