Penelope Williamson
heiraten würde. Das würde ich auch nicht. Niemals kann eine andere
deinen Platz einnehmen, Mary .. . nie.
Seine Schultern zuckten, und er schlug die Hände vors Gesicht, um
sein Schluchzen zu unterdrücken.
O Gott, Mary ... warum mußtest du nur vor mir sterben? Warum hast
du mich verlassen?
Anne Bishop flocht duftenden Goldlack und weiße Margeriten in Delias
schwarze Haare. Vorsichtig schob sie eine Locke, die sich aus dem langen Zopf
befreit hatte, in ihr Kunstwerk. Dann trat sie stolz zurück.
Delia stand auf und betrachtete sich. Langsam strich sie über das
glatte neue Leinenmieder, dann zupfte sie an den Falten des weiten Kattunrocks
und staunte noch einmal über den leichten, weichen Stoff. Er hatte die Farbe
eines blühenden Apfelbaums mit winzigen grünen Tupfen. Der kurze Überwurf war
moosgrün und hatte Rüschen an den Ellbogen. Beim Gehen raschelte der
spitzenbesetzte Unterrock. Wenn er die Beine berührte, glaubte Delia, von
Gänsedaunen gestreichelt zu werden. Trotzdem war ihr Hochzeitskleid praktisch
– natürlich zu schön für die Arbeit auf dem Feld, aber nicht zu ausgefallen für
den Gottesdienst am Sabbat.
Delia schlüpfte in die neuen leichten
Lederschuhe und drehte sich lachend auf den Fußspitzen. »Anne, ich komme mir so
schön vor!«
Anne stemmte die Hände in die Hüften und sagte sachlich: »Du bist
so schön wie ein Schwan.«
Delia hörte auf zu tanzen. Sie lächelte Anne
an. Das faltige, verwitterte Gesicht ihrer Freundin mit den blaßbraunen Augen
wirkte abweisend, aber nur auf den ersten Blick. In den letzten zehn Tagen
hatte Delia gelernt, diese seltsame und scheinbar unnahbare Frau zu lieben. In
vieler Hinsicht war Anne für Delia die Mutter geworden, die sie als
neunjähriges Mädchen verloren hatte.
»Anne, wie kann ich Ihnen jemals für alles danken, was Sie für
mich getan haben? Sie haben mir dieses Kleid nähen lassen, haben mir Unterricht
gegeben und mich in Ihr schönes Haus aufgenommen.« Delia blickte fast wehmütig
auf »ihr« Zimmer, das genau ihren Träumen entsprach. »Mir wird das alles sehr
fehlen, wenn ich nicht mehr bei Ihnen und dem Oberst sein kann.«
»Aber du wirst dreimal in der Woche zum Unterricht hier
erscheinen«, erinnerte sie Anne, und es klang beinahe drohend. »Ich habe mir
nicht all die Mühe gegeben und dir Lesen, Schreiben und ordentliches Sprechen
beigebracht, damit es dann bei diesem kümmerlichen Anfang bleibt. Ich werde
dich richtig gebildet machen!«
Delia lachte. »Nur Geduld, Anne, bald werde ich alle Gedichte, die
Sie besonders lieben, beim Melken aufsagen können. Ich kann Ihnen versichern,
Nats Ziege wird sehr beeindruckt sein.«
Anne schnaubte mißbilligend und drehte sich kopfschüttelnd um. Sie
nahm ein mit Seidenbändern verschnürtes Päckchen aus der Truhe und reichte es
Delia. »Ich finde, du kannst das heute tragen. Es war ein Geschenk meiner
Mutter, und ich habe es bei meiner ersten Hochzeit getragen. Du sollst es
haben, Delia.«
Delia sah Anne überrascht an, denn sie wußte nichts von Annes
erster Ehe. Zögernd löste sie die Seidenbänder. Es war ein in weißes Leinen
gehülltes Samtkästchen. Das allein schien kostbarer als jedes Geschenk, das
Delia jemals im Leben bekommen hatte.
Mit Ausnahme der roten Kalbslederschuhe, dachte sie plötzlich
wehmütig.
»Bist du plötzlich zu Eis erstarrt?« sagte Anne. »Mach es auf,
Kleines.«
Delia öffnete langsam den Deckel und sah ein
paar hauchdünne, mit Perlen besetzte Spitzenhandschuhe. Ihre Augen wurden groß
vor Staunen. »Aber, Anne ... sie sind viel zu schön. Ich könnte sie nie ...«
»Unsinn! Du kannst und du wirst sie tragen.« Sie legte ihr mütterlich
den Arm um die Schulter. »Ich habe keine Tochter, der ich sie schenken könnte.«
Tränen standen Delia in den Augen, die sie schnell, aber vergebens
mit dem Handrücken abwischte. Die beiden Frauen sahen sich an und fielen sich
in die Arme.
Anne klopfte Delia auf den Rücken. »Werde
glücklich!«
»Das werde ich«, schluchzte Delia an Annes
spitzer Schulter.
Der Schmerz ihrer Verzweiflung tat jedoch so weh, daß sie nicht
aufhören konnte zu weinen. Jedes Mädchen träumt von ihrem Hochzeitstag, wenn
sie dem Mann, den sie liebt, ihr Jawort gibt. Aber der Mann, den Delia liebte,
hatte sie zurückgestoßen, und nun heiratete sie einen Mann, der seine
verstorbene Frau liebte und nicht vergessen konnte.
Nur einer ist heute glücklich, dachte sie.
Tyler Savitch kann sich freuen, das lästige Mädchen aus
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