Penelope Williamson
verordnete.
Sie holte tief Luft und lächelte Caleb noch einmal an. »Also ich
an Ihrer Stelle würde die Leute etwas mehr mit dem Leben hier am Ort
wachrütteln, mit ihren Sünden und den Strafen, die sie von Gott zu erwarten
haben. Wissen Sie, das Bücherwissen ist für die Gemeinde schwer zu begreifen.«
Caleb nickte nachdenklich. »Ach ja, ich
verstehe ...«
»Und dann könnten Sie ruhig auch ein paar Namen nennen.«
»Namen nennen?«
Delia lachte. »Ja, die Leute kommen natürlich
auch zum Gottesdienst, um miteinander reden zu können. Sie wollen ihre
Nachbarn sehen und wissen, was hier so geschieht, und nicht nur eine Predigt
über hochtrabende Dinge hören ... entschuldigen Sie, Reverend. Sie könnten zum
Beispiel erwähnen, daß Hannah Randolfs Baby im nächsten Monat zur Welt kommt,
und da die Randolphs bereits sieben Jungens haben, wünschen sie sich diesmal
ein Mädchen. Oder sagen Sie, daß Kapitän Abbott gestern mit einem großen
Sortiment französischer Stoffe im Hafen eingelaufen ist. Außerdem sind zum
Beispiel gut zwei Monate vergangen, seit mich Dr. Savitch ge ... ...«
»Geimpft hat«, half Tyl ihr freundlich nach und trat zu ihnen.
»Ja, geimpft.«
Alle guten Vorsätze waren vergessen. Delia
blickte ihn sehnsüchtig an und zeigte ihre Freude, ihn zu sehen, mit einem
verliebten Lächeln. »Ja, und ich bin noch nicht tot, und ich habe nicht die Pocken.«
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Caleb, stand auf und schüttelte
Tyl lachend die Hand. »Vielleicht sollte ich am nächsten Sonntag auch von der
Kanzel verkünden, daß sich Merrymeetings beliebter
Arzt doch noch zum christlichen Glauben bekehren will.«
»Das wäre vielleicht etwas voreilig«,
erwiderte Tyl ebenfalls lachend. Seine Augen liebkosten Delia und ließen sie
wissen, daß nicht die Kirche, sondern nur sie ihn retten konnte. Aber
während sie sonst in den dunklen blauen Augen das heftige körperliche Verlangen
nach ihr sah, so schien es diesmal, als denke er in diesem Zusammenhang
wirklich an Liebe ...
Vergiß diesen Unsinn, rief sich Delia sofort zur Ordnung. Sie hatte
sich in der Vergangenheit oft genug gedemütigt und getäuscht, weil sie Tyl
Gefühle unterstellte, die er nicht hatte. Nein, sie würde es nicht überleben,
wenn er sie noch einmal zurückstieß. Außerdem war sie jetzt verheiratet und
durfte in Tyl ohnehin nur einen Freund sehen. Trotzdem, wenn sich seine Augen
auf sie richteten, verlor sie sich wie immer in ihren blauen, geheimnisvollen
Tiefen.
Sie riß sich von seinem Anblick los und sagte zu Caleb: »Ich habe
noch einen Vorschlag, Reverend ...«
»Passen Sie auf, Caleb!« rief Tyl spöttisch. »Sie wird Ihnen demnächst
die ganze Predigt schreiben.«
»Vielleicht wäre das keine schlechte Idee«, erwiderte Caleb ernst.
Oberst Bishop erschien in diesem Augenblick in der Tür und rief
den Pfarrer hinaus. Und so kam es, daß Delia trotz aller guten Vorsätze
plötzlich doch mit Tyl allein war. Aber in der Kirche konnte bestimmt nichts
geschehen ...
»Keine Angst«, sagte er schnell, als könnte er
ihre Gedanken lesen. »Ich habe mir vorgenommen, mich heute gut zu benehmen.« Er
sah sie mit einem schiefen Lächeln an und reichte ihr seinen Arm. »Gehen wir
hinaus zu den anderen, und essen wir etwas. Gutes Benehmen ist verdammt harte
Arbeit, und ich habe großen Hunger.«
Delia stand lachend auf und legte ihre Hand auf seinen Arm.
»Schämen Sie sich, Dr. Savitch. Wie können Sie in der Kirche fluchen?«
Der Stoff seines Rocks war warm und glatt unter ihren Fingern. Sie
wußte sofort, es war ein Fehler gewesen, ihn selbst auf diese harmlose Weise zu
berühren. Sie zog die Hand zurück, als habe sie sich verbrannt.
»Delia ...«
Sie schwieg mit angehaltenem Atem und wartete. Sie hörte den
hämmernden Pulsschlag in ihren Ohren.
»Hast du meinen Bären am Spieß gebraten?« fragte er und fuhr sich
mit der Zunge langsam über die Lippen.
Sie schüttelte sich übertrieben heftig und erwiderte: »Bist du
verrückt? Ich werde das stinkende Fleisch nicht anfassen.«
Tyl lachte übermütig, und ihr liefen heiße und kalte Schauer über
den Rücken. Aber als er ihr den Arm um die Taille legte und mit ihr aus der
Kirche ging, wehrte sie sich nicht, sondern ließ es überglücklich geschehen.
Draußen sah Delia zu ihrer Erleichterung Anne.
Sie winkte ihrer Freundin zu und hatte damit einen guten Grund, sich von Tyl zu
lösen. »Anne! Wie schön, Sie zu sehen!« rief Delia übertrieben fröhlich.
Anne
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