Penelope Williamson
sah,
wollte sie weinen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto stärker wurde das
Gefühl des schmerzlichen Bedauerns, daß sie nie das Glück erleben durfte, mit
Tyl ein Kind zu haben, das sie wie die niedliche Tildy und die kleine Meg
verwöhnen und lieben konnte.
Jetzt lächelte sie Nat und die Kinder an. Er
drückte Tildy noch einen Kuß auf die Pausbacken, ehe er sie Delia übergab, dann
bückte er sich und umarmte Meg. »Seid brav Kinder, und macht Delia keinen
Kummer«, sagte er, schulterte die Muskete und ging mit den Männern den Weg
entlang in Richtung Merrymeeting. Dort wartete das Küstenschiff, auf dem sie
mit der ersten Flut auslaufen würden. Am Waldrand drehte sich Nat noch einmal
um und winkte. Delia und die Mädchen winkten zurück.
»Auf Wiedersehen, Papa, auf Wiedersehen!« rief Tildy so laut an
Delias Ohr, daß sie taub zu werden glaubte.
Als Nat nicht mehr zu sehen war, sagte Meg spitz: »Warum weinst du
nicht? Meine Mama hat immer geweint, wenn Papa ins Manöver mußte.«
»Ach ja?« fragte Delia überrascht. Sie konnte sich die vorbildliche
Mary nicht mit Tränen in den Augen vorstellen.
»Er hat dir auch keinen Kuß gegeben«, ließ Meg nicht locker. »Mama
hat er immer einen Abschiedskuß gegeben.«
Delia seufzte. »Sag mal, Meg, hast du nichts Besseres zu tun, als
mich mit Fragen zu löchern, auf die ich keine Antworten weiß?«
Nachmittags wollte Delia Holz hacken.
Am frühen Morgen hatte dichter Nebel das Land
in eine feuchte Decke gehüllt. Erst als Nat mit den Männern ins Manöver aufbrach,
war die Sonne durchgekommen. Aber noch immer hing ein feiner Dunst in der Luft.
Kein Wunder, es war inzwischen September. Die Tage wurden kürzer, und die
Blätter an den Bäumen begannen sich langsam zu färben. Die Maisstauden auf den
Feldern waren beinahe so groß wie Delia. Die Nächte wurden merklich kühler, und
bald würden sie die warmen Decken aus der Truhe holen.
Delia wollte Nat mit einem Stapel Feuerholz überraschen – Nußbaumholz,
das brannte am besten und gab die meiste Hitze.
Sie arbeitete hinter der Scheune, setzte das
gehackte Holz auf eine Schubkarre und fuhr es zum Unterstand am Haus, wo sie es
später ordentlich aufsetzen wollte. Die lauten Axtschläge hallten bis zum nahen
Waldrand. Als Delia eine Pause machte, sah sie ganz in der Nähe eine Schar
Rebhühner auf dem abgeernteten Stoppelfeld.
Der Schweiß stand ihr auf der Stirn. Aber sie
griff wieder zur Axt, die das Holz mühelos spaltete, und dachte an Tyl. Er war
bei Hannah und half ihr bei der Geburt. Flüchtig erwog sie, zum Haus des
Schmieds zu gehen und auch ihre Hilfe anzubieten. Vielleicht sollte sie etwas
zu essen kochen und es Hannahs großer Familie bringen? Verbissen hackte sie
jedoch weiter, denn sie wußte natürlich, das wäre nur ein fadenscheiniger
Vorwand gewesen, um Tyl zu sehen.
Mit jedem Schlag wuchs ihr stiller Zorn – auf
sich, auf Tyl, auf die ganze Welt. Vor drei Wochen hatte Tyl sie aus dem Fluß
gezogen. Seitdem mußte sie Tag und Nacht an ihn denken. Die Erinnerung an
seine Küsse ließ ihr Herz sofort schneller schlagen. Seine heißen Lippen
machten sie schwach, und deshalb war sie wütend auf ihn. Wie konnte er es
wagen, sie auf diese gemeine Weise zu mißbrauchen? Er trieb ein böses Spiel mit
ihr und befriedigte seine Wünsche, so wie es ihm gefiel. Beschämt dachte Delia
daran, daß sie seine Küsse erwidert hatte. Deshalb wußte er, daß sie ihn noch immer
liebte. Wie konnte sie nur so schamlos sein? War sie wirklich das, wofür er
sie hielt – eine billige Hure, bei der ein Mann sich die schnelle Befriedigung
seiner »Lust«, wie Tyl es unverfroren gesagt hatte, verschaffte?
Beim nächsten Schlag dachte Delia an Nat. Ihr
sogenannter Mann schlief noch immer auf dem Feldbett. Er ließ sich nicht einmal
dazu herab, ihr einen Abschiedskuß zu geben, wenn er fünf Tage nicht bei seiner
Familie war. Auch wenn sie sich nicht liebten, so war sie schließlich seine
Frau. Wenn Nat sie wirklich zur Frau nehmen würde, dann könnte sie auch Tyl
vergessen ...
Ihre Schläge wurden immer schwächer. Der lange Axtstiel lag ihr
schwer in den Händen. Bei jedem Aufprall wackelte das rostige alte Eisen, das schon
viele feine Risse hatte, in dem ausgetrockneten Holzstiel, aber Delia achtete
nicht darauf. Sie war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt. Das Wackeln wurde
immer bedrohlicher, bis sich die Axt schließlich vom Stiel löste, durch die
Luft flog, Delias Rock aufschlitzte und ihren
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