Penelope Williamson
er als Arzt seine eigentliche Aufgabe. Er
wollte der Liebe und dem Leben dienen. Und so hatte er um Elizabeth und ihr
Kind gekämpft, als könnte er durch reine Willenskraft den Tod besiegen. Die
große unerwartete Hilfe aber war ihm durch den Schamanen zuteil geworden. Tyl
hatte in dieser Krise etwas von dem uralten geheimen Wissen um die Überwindung
des Todes gelernt, und sein Dasein war reicher als je zuvor. Der Schamane hatte
ihn mitgenommen in die Welt der Geister, wo sie mit den dunklen Kräften
gerungen hatten. Dieser Kampf war gefährlicher gewesen als das brutale
Zuschlagen mit der Keule, um zu töten, aber der Einsatz hatte sich gelohnt.
Unter der sicheren Führung des Schamanen gelang es ihm, das Leben von Mutter
und Kind zu retten. Diese Lektion hatte ihn plötzlich in die Welt der Visionen,
einer Welt jenseits von Vernunft und Gefühlen, vorstoßen lassen. Und er wußte
nun aus eigener Erfahrung um den schmalen Grat, dabei entweder in die dunklen
Abgründe des Nichts zu stürzen oder den Weg zum Licht zu finden.
Das Leben des Kindes war in den drei folgenden
Monaten bis zu der Frühgeburt im Januar ständig gefährdet. Es war Elizabeth
unmöglich gewesen, das Lager zu verlassen, und nach der Geburt konnte sie sich
natürlich nicht auf die mühsame Rückreise nach Merrymeeting machen. Nun mußten
sie warten, bis es wärmer wurde. Im Frühling hofften sie, daß Mutter und Kind
kräftig genug für die Reise wären.
Es hatte Tyl zwei Wochen gekostet, Jefferson,
den alten Trapper, aufzuspüren und ihn mit der Nachricht zu Caleb und den
anderen in Merrymeeting zu schicken, daß beide Frauen lebten, aber erst nach
der Schneeschmelze zurückkommen würden. Er und Delia machten sich Sorgen um Nats verwaiste Töchter, obwohl sie
wußten, daß sich Anne Bishop bestimmt bis zu ihrer Rückkehr der Mädchen
annehmen würde. Tyl vermutete, daß Nat außer einem Vetter zweiten oder dritten
Grades, der in England lebte, keine Verwandten hatte, und deshalb wollten er
und Delia die beiden Mädchen nach ihrer Rückkehr adoptieren.
Tyl wurde plötzlich bewußt, daß sein Singen
und das Spiel mit der Rassel seinen Vater belustigten. Lachend warf er die
Schnur mit den Würfeln in die Luft, fing sie mit einer Hand wieder auf und
setzte sich neben Assacumbuit ans Feuer. An einer Astgabel hing ein mit Fleisch
gefüllter Elchdarm über den Flammen; das Langhaus duftete appetitlich nach
zischendem Fett.
Silberbirke, die schwangere Frau
Traumbringers, beobachtete Tyl unter schüchtern gesenkten Augenlidern. Sie
hatte aufgehört zu arbeiten. Sie war gerade dabei, ein Hirschfell zu gerben,
das zu diesem Zweck mit einer Mischung aus Hirn, Ulmenrinde und Leberbrei
eingerieben wurde. Neben ihr saß ihre fast blinde, vom Alter gebeugte Mutter
und stampfte Mais in einem Mörser. Assacumbuits fünfjähriger Enkelsohn
Molsemis spielte mit einem kleinen Bogen und schoß Pfeile auf eine Zielscheibe,
die auf die Rückwand der Hütte gemalt war. Elizabeth und Delia waren aber nicht
hier.
»Wo ist meine Frau?« fragte Tyl beiläufig, obwohl er inzwischen
leicht beunruhigt war. Er hatte fest damit gerechnet, Delia in Assacumbuits
Langhaus zu finden, wo sie sich mit Elizabeth unterhalten und den Säugling
bewundern würde.
Assacumbuit schüttelte geruhsam eine Spielschale, in der die
Würfel klapperten. Er hoffte wohl, Tyl zu einem Spiel verlocken zu können. Das
wollte Tyl jedoch vermeiden, da er gegen den schlauen Fuchs jedesmal verlor.
»Sie sind Eisfischen«, erwiderte der alte
Häuptling.
Tyl fragte verblüfft: »Elizabeth auch?«
»Ai, deine Lusifee fand, die frische Luft
würde ihr guttun.« Das kleine Kind in der Wiege über ihren Köpfen ließ ein
lautes, gurgelndes Geräusch hören. Der Sachem blickte hinauf, und seine
schwarzen Augen strahlten. »Er ist ein guter Junge. Du solltest die Awakon
Elizabeth als zweite Frau nehmen.« Tyl hatte Elizabeth ihrem Besitzer für fünf
Biberpelze abgekauft, und für den Stamm galt sie deshalb als Tyls »Sklavin«.
Tyl lachte laut über den geschickten Versuch des alten Häuptlings,
sich noch einen Enkelsohn zu verschaffen. »Haben wir nicht schon ein paarmal
darüber gesprochen? Elizabeth hat bereits einen guten Ehemann. Und Delia würde
mir die Ohren langziehen, wenn ich es auch nur wagen sollte, an eine zweite
Frau zu denken.«
Assacumbuit lachte leise. »Deine Lusifee würde dafür sorgen, daß
du deinen Todesgesang anstimmst.«
Silberbirke kicherte leise. Aber als Tyl zu
ihr
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