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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
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den zerfetzten Umhang aus Elchfell und durch
das Lederhemd, das er darunter trug. Um seinen Kopf wirbelten eisige Flocken.
Aber Traumbringer spürte die Kälte nicht. Sein Blick folgte den drei Gestalten,
die mit ihren Schneeschuhen davonglitten und im Schneegestöber verschwanden.
Ihre Gesichter konnte er nicht sehen, denn sie waren in Felle gehüllt, aber ihm
lag eigentlich auch nichts daran. Vor Hunger und Fieber verschwamm ihm alles
vor den Augen, aber auch dasbeunruhigte ihn nicht, denn er war
eingesponnen in seine eigene Traumwelt.
    Er dachte, er sei inzwischen vielleicht ein Geist, aber er war
sich nicht sicher. Er war bei den Geistern auf dem Katadhin, dem größten aller
Berge, gewesen. Kein Abenaki hatte das jemals gewagt und lange genug gelebt, um
sich dessen später rühmen zu können.
    Die Abenaki lebten in den tiefer gelegenen
Wäldern. Dort verliefen ihre Pfade, und dort fuhren sie über die Gewässer. Der
Katadhin war heilig. Er war der Sitz von Pamola, dem Sturmgeist. Pamola hatte
die Schwingen und Klauen eines Adlers, die Arme und den Körper eines Menschen
und den Kopf und die Schaufeln eines Elchs. In seinem Zorn ließ Pamola die
Winde, die Blitze und die Schneestürme auf die armseligen Menschen dort unten
im Tiefland los. Wenn man sich hinaufwagte auf den Gipfel, wo Pamola wohnte,
bedeutete das den sicheren und schrecklichen Tod.
    Doch Traumbringer war den hohen Berg
hinaufgestiegen und hatte Visionen gehabt wie nie zuvor. Es waren seltsame,
flüchtige und bruchstückhafte Visionen gewesen, und er verstand sie noch nicht.
Das Verstehen würde sich später einstellen, und dann würde er auch danach
handeln. Denn jeder Abenaki wußte, daß es Unglück bedeutete, wenn ein Traum
nicht in Erfüllung ging. Ein Mann mußte den Weg beschreiten, der ihm in seinen
Träumen gewiesen wurde, sonst zog er die Rache der Geister auf sich. Träume
waren Geschenke der Geister, um einem Menschen den Weg zu weisen, und solche
Geschenke durfte man nicht mißachten. Das hatte ihm der alte Schamane oft
gesagt, aber Traumbringer dachte angesichts der tiefen Wunde seiner Schande nur
noch ungern an die sehr viel ernstere Ermahnung des alten Weisen: »Vergiß nie,
mein Junge, wenn die Visionen zu dir kommen, dann mußt du herausfinden, ob gute
oder böse Geister sie dir bringen. Die Träume der bösen Geister ziehen alle,
die schwach sind, in die Finsternis. Wir Menschen aber müssen den Weg zum Licht
finden, den uns die guten Geister weisen ...«
    Traumbringer dachte aber nur an die große, uneingeschränkte Macht
der Visionen, legte den Kopf zurück und lachte. Sein Lachen klang so schrill
und laut wie der Ruf des Eistauchers und hallte weit über den gefrorenen See.
Er lachte und lachte, zog eine Glasflasche aus den Falten des Fellumhangs,
entkorkte sie mit den Zähnen und nahm einen großen Schluck von der scharfen
Flüssigkeit.
    Sie trieb ihm die Tränen in die Augen und brannte in seiner Kehle,
so daß er nach Luft rang. Aber er spürte die Wirkung beinahe augenblicklich.
Die Visionen kamen zurück. Sie waren verschwommen, und er kniff krampfhaft die
Augen zusammen, als könnte er sie dadurch deutlicher sehen.
    Assacumbuit hatte ihn einmal gewarnt und
gesagt, die Visionen, die das Geisterwasser der Yengi bewirkte, seien
keine echten Visionen. Und der Yengi-Priester sagte, dem Yengi-Gott, dem
einzigen wahren Gott, mißfalle dieses Getränk. Aber Traumbringer hatte sich
nach seiner Niederlage vom Gott der Franzosen abgewandt. Vor Abscheu hatte er sich
die Totemperlen dieses Gottes vom Hals gerissen und auf einem Felsen zu Staub
zertreten. Die Perlen hatten keine Keskamzit, keine Zauberkraft,
besessen. Traumbringer wollte sich jedoch mit den Geistern verbünden und ihre
übermenschlichen Kräfte gewinnen. Er mußte sich und sein Volk retten, denn der
Große Sachem, Assamcumbuit, sein Vater, hatte ihn, seinen ältesten Sohn
und alle Abenaki, an die Yengi verraten. Nur dieser Verrat trug die
Schuld daran, daß er von seinem verhaßten Stiefbruder besiegt worden war. Warum
sollte er jetzt noch auf den Rat seines Vaters hören, der ihn im Angesicht des
ganzen Stammes verstoßen hatte?
    Das Geisterwasser besaß Zauberkraft, und er trank noch einmal
davon, denn er liebte die Träume. Die Vision, die diesmal vor seinen Augen
erschien, war klarer als die anderen. Er sah Yengi, unzählige dieser
bleichgesichtigen Menschen, die sich in mächtigen Strömen über die Erde
ergossen. An ihrer Spitze stand Lusifee, der Puma.

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