Penelope Williamson
die
weiche rosige Haut.
»Aber der
Schneemann hat heute einen Arm verloren, Delia.«
Delia verzog übertrieben traurig den Mund. »Ach, der arme
Schneemann. Das tut mir aber leid. Soll ich der Sonne sagen, daß sie morgen
nicht scheinen darf, damit der arme Schneemann nicht auch noch den anderen Arm
verliert?«
»Sei doch nicht dumm!« rief Tildy und schüttelte den Kopf. »Es ist
doch Frühling. Mrs. Bishop hat gesagt, wenn es Frühling wird, schmilzt der
Schneemann, und dann kommt meine neue Mama nach Hause.« Plötzlich legte sich
ihr Gesicht in Sorgenfalten. »Du bist doch jetzt zu Hause, Delia, nicht wahr?«
Delia küßte noch einmal die kindliche Stirn, aber sie brachte die
Worte kaum über die Lippen. »Ich bin zu Hause, mein Schatz.«
»Und du gehst nie mehr weg. Versprichst du es?«
Delia richtete sich auf und legte den Kopf zurück. Sie schloß
krampfhaft die Augen. »Ach Tildy, ich bin nicht sicher ...«, begann sie
hilflos.
»Aber du mußt bleiben, Delia!« rief Tildy und fing an zu schluchzen.
»Bitte versprich es. Versprich, daß du nie mehr weggehst. Es war nicht schön,
als du weg warst. Papa ist ins Lager hinaufgegangen und nicht wieder
heruntergekommen. Und Meg hat dauernd geweint. Stimmt's, Meg?«
»Ach, sei doch still, Tildy«, fauchte Meg, und ihre mageren Wangen
färbten sich rot.
»Streitet euch nicht, ihr beiden.« Delia legte die Hände um Tildys
Gesicht. Ihre Wangen waren heiß und naß von Tränen. »Jetzt schlaft schön,
Mädchen. Ich bin morgen früh da. Das verspreche ich euch.«
Sie gab Tildy noch einen Kuß, und das kleine Mädchen zog seine
Indianerpuppe unter der Decke hervor. »Gib Hildegard auch einen Gutenachtkuß.«
Delia küßte gehorsam das dunkle Gesicht der Puppe. Dann stand sie
auf, strich die Decken glatt und steckte sie unter dem Strohsack fest. Das
Stroh raschelte, als Tildy sich bewegte. Im Raum roch es nach Sonne.
Die Parker-Mädchen hatten seit Dezember bei
Anne Bishop gelebt. Aber Nat hatte darauf bestanden, daß seine wiedervereinte
Familie die Nacht gemeinsam in der Hütte verbrachte, die ihm innerhalb der
Palisaden zugeteilt worden war.
Die Hütte bestand nur aus einem Raum, den Nat mit einer Decke, die
über einem Lederseil hing, abgeteilt hatte. Delia hielt sich länger als nötig
bei den Mädchen auf. Sie wollte nicht auf die andere Seite des Vorhangs gehen
und Nat unter die Augen treten. Sie wollte nicht, daß er anfing, sie über die
Wintermonate bei den Abenaki zu befragen, denn sie wäre nicht in der Lage
gewesen, darüber zu sprechen. Diese Zeit war so voll von Erinnerungen an Tyl
und ihre Liebe. An ihre glückliche Ehe ...
Sie wußte, sie sollte so schnell wie möglich darüber nachdenken,
was sie tun konnte. Aber sie befand sich in einer unmöglichen Lage. Nathaniel
Parker lebte, und sie war mit ihm verheiratet, nicht mit Tyl, dem Mann,
dem ihr Herz gehörte. Tyl, der Mann, den sie mehr als jeden anderen liebte,
mehr als ihr Leben, mehr als ...
Alles?
Sie unterdrückte ein tiefes, verzweifeltes Seufzen und richtete
sich auf. Aber als sie sich zum Gehen wandte, rief Meg von der anderen Seite
des kleines Raums. »Delia? Kannst du ... Ich will dir etwas sagen.«
Delia setzte sich auf den äußersten Rand von Megs Strohsack. Sie
achtete darauf, das Mädchen nicht zu berühren, denn Meg hatte Delias Versuche,
ihre Zuneigung zu zeigen, so oft zurückgewiesen, daß Delia schon vor langer
Zeit gelernt hatte, Abstand zu wahren.
Plötzlich begriff sie jedoch instinktiv, daß
Meg bereit, mehr als bereit war, auf diesen Abstand zu verzichten, denn sie
sehnte sich verzweifelt nach Mutterliebe. Deshalb beugte sie sich vor und gab
Meg einen zarten Kuß auf die mageren Wangen. »Gute Nacht, Meg.«
Zu Delias Verblüffung küßte Meg sie
ebenfalls. Es war ein schneller Kuß, so leicht, daß sie ihn kaum spürte.
Trotzdem war es ein Kuß.
Als Delia aufstand, sah sie, daß Meg sie mit
ihren unergründlichen braunen Augen musterte. »Delia? Nachdem die Indianer dich
weggeschleppt hatten, habe ich zu Gott gebetet.«
»Danke, Meg«, erwiderte Delia. »Ich bin
überzeugt, daß ich deshalb in Sicherheit war und daß es Dr. Tyl geholfen hat,
mich zu finden.«
Meg schluckte hörbar. »Ich habe Gott versprochen, wenn du
zurückkommst, würde ich nie mehr gemein zu dir sein.«
Delia mußte lachen. »Das war sehr voreilig,
meinst du nicht auch?«
Meg kicherte. »Ich glaube schon ...« Ihr Lachen verstummte, und
sie zupfte unruhig an den Decken. »Ich habe Gott
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