Penelope Williamson
meine einzige
Freundin. Und ihr Platz ist heute nacht ... bei mir.«
»Sie ist
deine Freundin, und deshalb nennst du sie >Miss Tremayne<.«
Die Schmerzen brachen über sie herein, sie schlugen über
ihr zusammen und schossen durch sie hindurch. Sie waren so stark und gewaltsam
wie eine Sturmwoge. Bria wollte, daß Emma ihr die Hand hielt und ihr half,
stark zu sein, damit sie nicht anfing zu weinen. »Bring sie zu mir, Shay! Bitte
... ich brauche sie.«
Emma verließ das Eßzimmer. Sie glaubte zu ersticken. Ihr war,
als hätte sie den Abend in einem Kleiderschrank verbracht, wo sie von Seide,
Satin und Taft beinahe erdrückt worden war. Und alle Kleider rochen nach altem
Parfüm und Mottenkugeln.
Die Frauen
überließen nach dem schier endlosen Essen die Männer ihrem Brandy und den
Zigarren. Sie selbst zogen sich in den Salon zurück, um sich zu unterhalten.
Emma hatte jedoch das Gefühl, das übliche Gerede nicht ertragen zu können.
Später,
wenn sich die Männer zu ihnen gesellten, würde man von ihr erwarten, daß sie
Klavier spielte und zusammen mit Geoffrey ein Liebesduett sang, obwohl sie
weder am Klavier noch beim Singen besonders gut war. Und natürlich würden alle
sie mit ihren Blicken durchbohren. Emma glaubte, das erst recht nicht ertragen
zu können.
In
heroischer Selbstverleugnung ihrer Gefühle betrat sie wieder den Salon, blieb
aber plötzlich wie angewurzelt stehen. Sie konnte keinen Schritt weitergehen
und bekam keine Luft mehr. Sie umklammerte den Rock ihres grünen Chiffonkleids
so fest, daß sie zitterte und die Hände zu Fäusten ballte.
»Emma? Was ist los?« Das Gesicht
ihrer Mutter tauchte verschwommen vor ihr auf. Emma schloß die Augen und legte
den Handrücken an die Wange.
»Mir ist
ganz schwach«, hauchte sie und gab sich keine Mühe, nicht zittrig und kraftlos
zu klingen. Man erwartete von Damen, daß sie sich gelegentlich schwach fühlten.
Das verriet eine gewisse Zartheit und ermutigte die Männer, den Beschützer zu
spielen. Mama wurde ständig ohnmächtig. »Ich ... ich glaube, ich sollte mich
eine Weile hinlegen.«
»Nun ja,
wenn es sein muß. Es geht jedenfalls nicht an, daß du eine Szene machst«,
erwiderte Bethel. Ihre Antwort klang mürrisch, aber zu Emmas Erleichterung
nicht ungläubig. »Ich werde dich entschuldigen.«
»Danke,
Mama«, murmelte Emma und seufzte. Sie drehte sich um und zwang sich, langsam
durch die Tür mit den Samtdraperien hinauszugehen. Aber am liebsten wäre sie
auf ihr Zimmer gerannt. Emma befand sich auf halber Höhe der Eichentreppe, als
es wie in jener Nacht an der Tür klopfte. Sie drehte sich so schnell herum, daß
sie beinahe gefallen wäre, und klammerte sich mit der seidenbehandschuhten
Hand an das Geländer. Es gab keinen Grund zu hoffen, daß er es sei. Doch Emma
wußte, sie wußte es einfach: Er war da. Langsam ging sie die Treppe wieder
hinunter, denn ihre Beine fühlten sich so steif an wie altes Leder, und ihr
Herz klopfte unregelmäßig. Sie starrte lange auf die Kassetten der mächtigen
Ebenholztür, bevor sie mit einem Ruck einen Flügel aufzog und in sein Gesicht,
in seine Augen blickte – ihn anblickte.
Er sagte
zunächst nichts, dann hörte sie seine rauhe Stimme flüstern. »Meine Frau ...«
Die Worte waren so sehr ein Echo aus jener anderen Nacht, daß sie fassungslos
zu dem klaren, sternenübersäten Himmel in seinem Rücken hinaufsah. »Bria
bekommt das Kind und fragt nach Ihnen.«
Emma überlief ein kalter
Schauer. Sie hatte Angst. Sie konnte sich nicht bewegen und nicht sprechen.
Bria bekam ihr Kind. Bria hatte nach ihr gefragt, nach ihr. Es war
gleichgültig, daß sie um ihrer Ehre willen beschlossen hatte, nicht mehr in die
Thames Street zu gehen.
Wenn Bria sie brauchte, würde
sie kommen. Für diese eine Nacht würde sie kommen.
Emma hörte Stimmen aus dem
Salon. Sie machte einen Schritt auf ihn zu und zog die Tür hinter sich ins
Schloß. Eine sanfte Brise, die
vom Meer kam, strich wohltuend über die glühende Haut.
Sie hörte das leise Klatschen des Wassers am felsigen Ufer der Bucht. Er atmete
schwer. Seine Brust hob und senkte sich. Er roch nach Schweiß. »0 Gott? Ist es
wirklich schon soweit?« Dann fügte sie besorgt hinzu: »Sind Sie den ganzen Weg
gerannt?«
»Natürlich! Und was, glauben
Sie, habe ich damit bezweckt, mir die Sohlen abzulaufen, wenn ich in meiner
Kutsche mit den vier Pferden
und dem
vergoldeten Wappen am Schlag hätte kommen können?« Er riß den Hut vom Kopf und
fuhr sich mit
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