Penelope Williamson
brach.
Sie hörte
Schritte in der Küche und das Pfeifen des Teekessels. Sie hörte Stimmen. Shay
und Emma redeten miteinander. Schon jetzt, dachte Bria, stützen sie sich
gegenseitig und finden Trost beieinander, auch wenn es ihnen noch nicht bewußt
ist.
Als sie die schweren Lider schloß
und um einen rasselnden Atemzug rang, dachte Bria darüber nach, wie sie
Abschied nehmen würde.
Sie begann mit ihrem Bruder.
Wenn er
kam, fragte er jedesmal, ob sie ihre Sünden bereue, und sie antwortete mit
einer Stimme, die dünn und langsam und in ihren eigenen Ohren fremd klang:
»Alle, bis auf eine, und die werde ich niemals einem Mann oder einem Priester
gestehen, Donagh. Also frag mich nicht.«
Doch am
Ende konnte sie den Gedanken nicht ertragen, daß ihr Bruder sich quälen und
sich Sorgen um ihre unsterbliche Seele machen würde, noch lange nachdem sie tot
sein würde, und daß er das Gefühl haben mußte, ihr gegenüber und als Priester
gegenüber Gott versagt zu haben.
Deshalb
erzählte sie ihm bei seinem nächsten Besuch alles über den Tag in Castle Garden,
und sie machte ihn glauben, sie beichte die Sünde ihrer Schande, obwohl sie im
Innersten nie bereuen würde. Und doch, als sie sah, wie ihr Bruder mit sanfter
Hand das Kreuzzeichen über ihrem Gesicht machte, als sie hörte, wie er die
Worte Ego te absolvo ... sprach, fühlte sie sich in tiefster Seele
freigesprochen.
Donagh
weinte, als er ihr die trockene, süße Hostie auf die Zunge legte und sie wieder
in den Zustand der Gnade versetzte. Doch als er ging, beugte er sich zu ihr
hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Versteht Gott die Sünden nicht besser, die
aus Liebe geboren sind?«
Es war schrecklich, von ihren Töchtern Abschied zu
nehmen. Wäre Bria mehr wie Shay gewesen, der ständig seine Bücher las und über
den Sinn der Dinge nachgrübelte, hätte sie vielleicht genug Weisheit erworben,
um sie an die Mädchen weiterzugeben, um ihnen über die bevorstehende Jahre ohne
Mutter hinwegzuhelfen. Doch sie wußte, am Ende hätte kaum etwas von ihrer
Weisheit eine große Bedeutung gehabt. Das Leben selbst würde sie weise machen
müssen oder sie würden es nie werden.
Sie wollte
etwas sagen, das sicherstellen würde, daß die beiden sie nie vergaßen. Doch sie
fürchtete, wenn sie zu lange und mit zu großem Nachdruck über ihr Sterben
sprach, würden sie sich in erster Linie daran erinnern, und dieser Gedanke
erschien ihr unerträglich. Dann war da der arme kleine Jacko, der überhaupt
keine Erinnerungen an sie haben würde.
So bat sie
ihre Töchter schließlich jedesmal, wenn sie ins Zimmer kamen, sich zu ihr auf
das Bett zu legen, damit sie die Arme um sie legen, sie halten und ihnen sagen
konnte, daß sie sie liebte.
Zumindest das würden sie von
ihr bekommen – die innere Gewißheit, daß sie geliebt worden waren.
Zu ihrer lieben Freundin Emma, dem Spiegelbild ihres
Herzens, sagte sie: »Du hast mir eines deiner wunderschönen Nachthemden gegeben,
als ich gerade nicht aufgepaßt habe.«
Sie sah,
wie sich Emmas Kehle bewegte, als sie schluckte, und daß es ihr schwerfiel zu
lächeln. »Ich wollte dir immer so vieles geben«, erwiderte Emma, »und du hast
es mir nie erlaubt.«
»Du hast
mir mehr gegeben, als du dir vorstellen kannst. Und jetzt kannst du mir etwas
geben ...« Sie schwieg und sagte dann mit einem Seufzer: »Gib mir das
Versprechen, daß du die Mädchen und Shay immer noch besuchen wirst, wenn ich
nicht mehr dasein werde.«
Sie sah,
daß Emmas Augen sich weiteten – vielleicht vor Überraschung und Angst. Sie
wußte nicht genau, wie nahe die beiden in ihrem Innern dem Eingeständnis
gekommen waren, daß sie sich ineinander verlieben würden. Doch Bria war sicher,
daß sie niemals soweit gegangen waren, es dem anderen zu
gestehen. Denn dazu liebten sie beide Bria viel zu sehr und würden sie niemals
verletzen wollen.
Doch wenn sie tot war, konnte
sie nichts mehr verletzen. Emmas und Shays Liebe zu Bria würde dadurch, daß sie
sich liebten, nicht beschmutzt werden.
Aber sie
konnte mit Emma nicht so offen darüber sprechen, wie sie es mit Shay tun würde.
Worte erschreckten Emma. Die junge Frau, die in dem silbernen Haus lebte und
mit Diamanten im Haar in vergoldeten Ballsälen tanzte, hatte sich nie wohl
gefühlt, wenn sie ihr Herz zu genau untersuchte.
Deshalb sagte Bria: »Versprich
mir, daß du den Mädchen zuliebe kommen wirst. Sie haben dich inzwischen
wirklich sehr in ihr Herz geschlossen. Auch noch dich zu verlieren,
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