Penelope Williamson
wäre mehr,
als ihre Herzen und Seelen ertragen sollten.«
Emmas Stimme klang erstickt von
den zurückgehaltenen Tränen, als sie erwiderte: »Natürlich werde ich kommen.
Ich werde sie besuchen, solange sie es wollen.«
Nachdem sie Emma das
Versprechen abgenommen hatte, redete Bria, wenn sie wach war und die Kraft dazu
aufbrachte, über ihren Mann. Auf keinen irischen Helden waren jemals solche
Loblieder gesungen worden wie auf Seamus McKenna.
Einmal sagte sie: »Ich glaube,
mein Shay liebt die Unsicherheit. Aber vielleicht sind Männer besser darin, im
Augenblick zu leben und zu lieben. Wir Frauen ... wir neigen dazu, uns mehr mit
dem Gestern und dem Morgen zu beschäftigen.«
Und Emma
fragte: »Aber wenn du an dein Gestern denkst, Bria, fragst du dich da jemals,
wie dein Leben ausgesehen hätte, wenn du an jenem Tag nach dem Tanz auf der
Straße nicht an den Strand gegangen wärst, um auf ihn zu warten? Hast du jemals
das Gefühl gehabt, du hättest eine andere Wahl treffen können?«
Sie erwiderte:
»Vielleicht hätte ich mich anders entscheiden können. Ich hätte mich dafür
entscheiden können, ihn überhaupt nicht zu lieben. Oder dafür, tiefer in meinem
Innern nach dieser tapferen Liebe zu suchen, die es mir ermöglicht hätte, ihn
loszulassen. Aber wenn ich an die Zukunft denke, dann erkenne ich, daß ihn zu lieben
alles wert gewesen ist, ganz gleich, wie es endet.«
An diesem
Tag endete es damit, daß Bria soviel Blut hustete, daß es überallhin spritzte –
an die Wände, auf den Fußboden und sogar auf die Postkarte der Heiligen Maria.
Und Emma mit ihren Damenhänden und ihrer Damenkleidung machte alles wieder
sauber.
Als es
vorüber war, lag Bria erschöpft in den Kissen und rang verzweifelt nach Atem,
um Emma alles zu sagen, was ihr Herz bewegte.
»Mo Bhanacharaid ...«, stieß
sie keuchend hervor, und dabei machte die Luft ein feuchtes Geräusch in ihrer
Brust. »Das bedeutet auf irisch >meine beste Freundin<. Habe ich dir das
jemals gesagt? Und du bist eine großartige, richtige Freundin ...«
Emma hatte
sich über das Bett gebeugt und richtete das frische Leintuch. Plötzlich faßte
sie mit beiden Händen Brias Hand und legte sie an ihre Wange.
»0 Gott, o
Gott. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll.«
Bria spürte, wie die Schwäche sie langsam durchdrang und
sich ein Stein nach dem anderen auf sie legte. Doch es gelang ihr zu lächeln.
»Erinnerst du dich ...? Du brauchst nur in den Spiegel zu sehen.«
»Nein, nein.« Emma schüttelte so heftig den Kopf, daß die
Tränen in ihren Augen auf ihre Hände fielen. »Das war falsch, falsch. Du bist
nicht meine andere Hälfte, du bist das Beste in mir. Du hast mich gelehrt, wie
ich sein soll. Du hast mich einen Blick auf das Leben werfen lassen, das ich
als mein Leben führen sollte. Aber jetzt verläßt du mich, und ich muß es allein
leben.«
Nein,
dachte Bria, ich verlasse dich, damit du es mit meinem Shay lebst.
Shay
Sie liebte ihn immer noch
leidenschaftlich, noch mehr als je zuvor. Wenn Bria nachts aufwachte und ihn
auf dem Stuhl neben ihrem Bett sah, wo er Wache hielt, dann wünschte sie, daß
es später nicht seine letzten Erinnerungen an sie wären, sondern jene anderen
aus der Zeit, als sie noch jung und hübsch und voller Leben gewesen war.
Eines
Nachts bat sie ihn, zu ihr ins Bett zu kommen. Als er ausgestreckt neben ihr
im Dunkeln lag, sein Gesicht ihrem Gesicht zugewandt war und sein Arm schwer
auf ihrer Hüfte ruhte, mußte sie an die Zeiten in der Höhle denken, als sie
jung gewesen waren, sich in den Armen lagen und sich festhielten.
Sie legte
die Handflächen auf seinen Oberkörper und spürte seine innere Spannung – es
schien, als würde er im nächsten Augenblick in tausend Stücke zerspringen. Sie
dachte an Irland, an die drei Tage, in denen sie geglaubt hatte, er sei tot.
Die Qual und die Trauer waren mehr gewesen, als sie hatte ertragen können. Sie
fragte sich, wie er das jetzt aushielt, wie er es in den vergangenen Monaten
ausgehalten hatte, sie langsam, mit jedem Atemzug sterben zu sehen. Oder hatte
er sein Herz im tiefsten Innern schon lange auf ihren Tod vorbereitet?
Shays Herz
war ihr oft ein Rätsel gewesen. Doch sie dachte, wenn sie ihn in dieser Nacht
nach der Wahrheit fragen würde, danach, was er sich von Herzen wünsche, dann
würde er sagen: »Daß du am Leben bleibst.«
Aber diesen Wunsch konnte sie
ihm nicht erfüllen. Deshalb würde sie ihm den anderen Herzenswunsch erfüllen,
auch wenn
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