Penelope Williamson
während sie mit geblähten Segeln die
Kämme der Wellen erklomm und in die Täler hinabtauchte. Der zornige Himmel war
von dichten Wolken verhangen. Blitze flammten auf und tauchten jede Spalte,
jeden Winkel in gleißendes Licht.
Emma
kämpfte mit beiden Händen darum, das Ruder festzuhalten, während der Regen ihr
ins Gesicht trieb und ihr alle Sicht nahm. Die Lee-Reling befand sich weit unter
dem weiß schäumenden Wasser. Der Sturm war schrecklich, und er war schön, so
schrecklich schön, daß alles andere im Leben nutzloses Flitterwerk zu sein
schien. Nur die Liebe nicht. Die Liebe hielt dem Vergleich mit dem Sturm stand.
Emma warf
den Kopf zurück und schrie gegen den Wind: »Ich habe es aus freiem Willen
getan! Ich habe mich dafür entschieden, Shay McKenna zu lieben! Ich habe mich dafür entschieden!«
Der Himmel
brannte, explodierte und wurde zu einem Spinnennetz der Blitze. Und in dem
Augenblick gleißender Helligkeit, bevor die Welt wieder von Wind und Regen
verschlungen wurde, sah Emma etwas, bei dessen Anblick ihr Herz stehenblieb –
eine Welle, die für den Ozean bestimmt war, nicht für eine der kleinen Buchten
von Rhode Island.
Über den
Lärm von Wind und Regen hinweg hörte sie das rauhe Brüllen einer hohen Woge,
die im nächsten Augenblick in sich zusammenbrechen würde.
»0 Gott,
bitte nicht ...«
Doch die Ikarus schoß bereits die schwarze Wand nach oben. Der Bug wies in
den grauen Himmel, raste der rollenden Dunkelheit entgegen, entgegen ...
Einen Augenblick lang schwebten
sie dort oben, die kleine Schaluppe, die zitterte und ächzte, und Emma, deren
Seele nackt und bloß war ... schwebten am Rande der Ewigkeit.
Dann stürzten sie, sanken in ein
Wellental, das so tief und so schwarz war wie die Hölle. Sie fielen mit solcher
Wucht in die Tiefe, daß der Rumpf der Schaluppe donnernd dröhnte, als sie unten
aufschlugen, und der Hauptmast sich wie ein Bogen krümmte.
Die schwarze Wasserwand brach
über ihnen zusammen, trommelte wie mit Fäusten von Riesen auf sie ein, schlug
sie nieder ...
... Und
dann war alles vorbei.
Augenblicke
später schien sich der Sturm so unvermittelt zu legen, wie er aufgekommen war.
Es regnete zwar immer noch in Strömen, und der Himmel blieb schwarz, doch die
Gefahr war mit dem Wind weitergezogen.
Emma saß
zitternd und keuchend im Boot. Jetzt, nachdem es vorbei war, hatte sie
weitaus größere Angst als vorher. Doch sie empfand auch einen gewissen Triumph.
Sie hatte zwar nicht gesiegt, aber sie hatte überlebt.
Nur ein Schimmer des Gaslichts leuchtete auf dem oberen
Treppenabsatz des dunklen Hauses. Emmas Beine wollten vor Erschöpfung den
Dienst versagen, als sie die Treppe hinaufstieg. Sie war naß bis auf die Haut,
fror entsetzlich und klapperte vor Kälte mit den Zähnen.
Wenn es
ihr nicht gleichgültig gewesen wäre, hätte sie sich gefragt, weshalb das Haus
so dunkel und still lag, weshalb es so leer war, daß man innerlich erstarrte.
Doch sie konnte nur daran denken, wie erschöpft und müde sie war.
Emma
öffnete frierend die Tür ihres Zimmers, schloß sie vorsichtig hinter sich, dann
lehnte sie sich zitternd und bebend daran. Aber plötzlich hatte sie das beinahe
unwiderstehliche Verlangen zu lachen. Sie wollte die Röcke heben und sich im
Kreis drehen, bis ihr schwindlig wurde und sie lachend auf dem Boden
zusammensank, so wie sie es als Kind getan hatte, wenn sie zur Strafe auf ihr Zimmer
verbannt worden war.
In einem
der mit rosa Seide bezogenen Sessel am Kamin regte sich etwas.
»Mama?«
Ihre Mutter
stand auf, und aus dem anderen Sessel erhob sich schwerfällig ein Mann. Onkel
Stanton, der Arzt, trat neben ihre Mutter. Es war so still, daß Emma den Regen
und das Meerwasser hörte, das von ihrem Rocksaum auf den Fußboden tropfte.
Ihr Onkel wirkte abgespannt und
besorgt, und Emma stieg plötzlich der saure Geruch von Chloralnitrat in die
Nase.
»Was ist?« fragte sie. »Ist etwas mit Maddie?«
Ihre Mutter starrte Emma mit Augen an, die zu groß und
gequält in dem abgemagerten Gesicht wirkten. Emma machte besorgt einen Schritt
auf sie zu. »Ist etwas mit dir, Mama? Bist du krank?«
»Ich werde es nicht zulassen«, sagte ihre Mutter. »Ich
werde nicht zulassen, daß du mir das antust.«
Achtundzwanzigstes Kapitel
Shay stand vor dem großen schmiedeeisernen Tor und blickte
durch die dicken verschnörkelten Stäbe auf den Reichtum dahinter. Das alte
Herrenhaus war ein großes, weitläufiges Gebäude und leuchtete mit seinen
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