Penelope Williamson
da. Sie hatte Veilchen mitgebracht, um sie auf das Grab zu
pflanzen. Unverzüglich machte sie sich an die schöne Arbeit, kniete im grünen
Gras und lockerte die weiche feuchte Erde mit einem kleinen Spaten. Als sie
Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich lächelnd um.
Er trug
einen modischen Anzug, eine gestreifte Schleife um den Stehkragen und auf dem
Kopf einen steifen runden Hut. Er kam allein und ging mit langen,
selbstbewußten Schritten auf sie zu. Emma erhob sich langsam und so vorsichtig,
als fürchte sie zu fallen. Sie ging ihm nicht entgegen, um ihn zu begrüßen,
sondern blieb stehen und empfand die Anziehungskraft seiner Nähe wie die
Schwerkraft.
Schließlich
stand er vor ihr.
»Shay«, sagte sie und wurde beim Aussprechen seines Namens
rot. Die leuchtendgrünen Augen blickten sie hart und erschreckend fordernd an.
Er stand so dicht vor ihr, daß sie die Rasierseife riechen konnte, und ihr fiel
auf, daß seine lockigen Haare im Nacken über den Kragen fielen.
»Die Mädchen und Vater O'Reilly
haben mir gesagt, daß du in letzter Zeit oft hier bist«, begann er unumwunden.
»Du hast doch bestimmt gewußt, daß sie es mir sagen würden, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete sie, aber es
war eine Lüge. Sie hatte viel zu große Angst gehabt, um sich das einzugestehen.
»Und du
hast bestimmt auch gewußt, daß ich eines Tages kommen werde und daß ich es
nicht über mich bringen werde, einfach nicht zu kommen?«
»Nein ...
ja.«
Wie ist das möglich, dachte
Emma. Nach all der Zeit spüre ich, wie er mich berührt, auch wenn er mich nicht
berührt.
»Und
jetzt?« fragte er.
Sie wollte
ihn fragen, was er von ihr erwartete.
Sie hatte
Angst, ihn danach zu fragen.
»Und jetzt ..., ich weiß es
nicht.« Sie hob die Schultern. Es war eine Geste der Hilflosigkeit.
Er trat einen
Schritt zur Seite und blickte auf das Grab seiner Frau und auf die Veilchen,
die sie dort gepflanzt hatte. Er nahm den Hut ab, und Emma sah, daß seine
Finger weiß wurden, als er die Krempe umklammerte.
Sie wollte
ihm sagen: Wir haben uns gefunden – du, Bria und ich, obwohl so viel uns
hätte auf ewig trennen können. Das muß doch etwas bedeuten, nicht wahr?
Er drehte sich um und sah sie
wieder an. »Du wirst also am nächsten Samstag deinen Mr. Alcott heiraten«,
sagte er.
Sie wollte erwidern: Ich
werde nie mehr lieben, nicht mehr so, nicht mehr so, wie ich dich geliebt habe.
»Ja«,
sagte sie. »Die Trauung wird im Garten stattfinden, natürlich nur, wenn es
nicht regnet. Falls es regnet, wird die Hochzeit bis in alle Ewigkeit
verschoben werden müssen, denn dann wird Mama sich umbringen.«
Er lachte. Es erschien ihr
ungerecht, daß er lachen konnte, wenn sie so lange, so lange nicht gelacht
hatte ... seit sie das letzte Mal zusammen gelacht hatten.
»Wir«,
sagte er, »wir fahren zufällig an diesem Tag nach New York. Ich habe Arbeit bei
einem Bezirkschef im Hafen. Ich werde irischen Einwanderern dabei helfen, sich
in der Neuen Welt zurechtzufinden.« Er lachte noch einmal, aber es klang
bitter. »Ich werde ihnen zu Weihnachten Truthähne bringen und Säcke mit Kohlen
und Krüge voll Bier und so weiter. Es ist eine politische Arbeit, und deshalb
ist die Bezahlung beachtlich. Ich werde jedenfalls die Mädchen nicht mehr in
eine Fabrik schicken müssen.«
Sie wollte erwidern: Weshalb
sagst du mir das alles? Vielleicht weißt du nicht, daß es immer noch schmerzt,
es zu hören.
»Während
ich die Einwanderer betreue, werde ich ihnen natürlich sagen, warum sie die
Demokraten wählen sollen, und ich werde
Spenden für den Clan sammeln. Erin go bragh. Vielleicht
wird es zu meinen Lebzeiten dann doch noch einen Aufstand geben.«
»Würdest du dann nach Irland gehen und kämpfen?«
»Nein, ich werde hierbleiben.«
»In New York?«
»Ja, in New York.«
Sie wollte sagen: Ich gehe mit dir.
Unglaublicherweise
waren die Worte da und kamen ihr beinahe über die Zunge, als sei zwischen
diesem und dem letzten Mal nichts geschehen, als sei sie nicht gebrochen
worden.
»Emma«, sagte er. »Ich möchte ...«
Sie hielt
die Luft an und wartete. »Ich möchte mich bei dir bedanken«, fuhr er
schließlich fort. »Du hast den Mädchen sehr geholfen. Du hättest einfach aus
ihrem Leben entschwinden können, und dann hätten sie sich immer Gedanken
gemacht.« Er lächelte plötzlich. »Du bist eine richtige Dame, Miss Emma
Tremayne ..., das wollte ich dir auch noch sagen.« Er streckte die Hand aus,
und für einen Augenblick
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