Penelope Williamson
zu
dem Mann, der in dem weißen Eisenbett
schlief. Sie gehörte zu der Freundin, deren Geist noch immer den pfeifenden
Teekessel auf dem Feuer überwachte.
Aber ein
Meer tat sich auf, wenn man schließlich wußte, wohin man gehörte, und man
brauchte die Leidenschaft im Herzen, um die Überfahrt zu wagen. Und Emma hat
den Mut verloren, die Segel zu setzen.
Eines Tages, als der Nebel tief
über dem kalten Wasser der Bucht hing und der Frühling noch eingeschlossen in
den kleinen roten Knospen der Birkenzweige warten mußte, ging Emma zum Friedhof
der Saint Mary-Kirche und besuchte Brias Grab.
Ein
einfacher Grabstein trug ihren Namen mit den Angaben von Geburt und Tod. Beim
letzten Mal, als Emma hier war, lag die Erde braun und frisch vor dem
Grabstein, und die Inschrift wirkte in dem glatten grauen Granit wie eine weiße
Narbe. Jetzt war der Hügel an den Rändern bereits etwas eingesunken, und der
Frost hatte den Granit mit kleinen Rissen durchzogen.
Emma kniete
nieder und fuhr die Buchstaben mit dem Finger nach. »Bria«, sagte sie, und der
Schmerz, ihren Namen auszusprechen, war unerträglich. Sie schloß einen
Augenblick die Augen und blickte dann in die Unendlichkeit des Himmels hinauf.
Aber wenn Bria dort war, dann konnte Emma sie nicht sehen. Jedoch etwas anderes
zu denken, schien noch schrecklicher. Sollte von Bria nichts anderes mehr
dasein als das Skelett im Grab?
Emma hörte hinter sich
Schritte. Langsam drehte sie sich um und entdeckte Brias Töchter auf dem
Friedhofsweg.
Noreen hatte das Kinn gehoben
und sah Emma vorsichtig an. »Wir gehen nach der Schule immer zu Mamas Grab«,
sagte sie. »Das heißt sehr oft. Aber wir sind nicht wegen dir gekommen.«
Merry
summte ärgerlich und schüttelte den Kopf.
Noreen sah
ihre Schwester mißmutig an und wurde rot. »Also gut! Merry hat gesagt, du
würdest heute hier sein. Sie wollte, daß wir dich hier treffen, weil du schon
so lange auf uns gewartet hast.«
Emma öffnete den Mund, aber die
Gefühle überwältigten sie, und sie brachte kein Wort über die Lippen.
Merry
kauerte sich neben Emma und griff nach ihrer Hand. Mit der anderen Hand strich
das kleine Mädchen über die braune Erde auf dem Grab. Sie streichelte die Erde,
als sei es etwas Lebendiges. Dabei summte sie leise.
Noreen
blieb reglos stehen und musterte Emma mit dunklen Augen. »Papa sagt, du bist
eine Zeitlang weg gewesen, bei Verwandten. Er sagt, daß du deshalb nicht mehr
zu uns gekommen bist.«
Die Tränen
brannten in Emmas Augen. Sie wollte nicht weinen. »Aber jetzt bin ich wieder zu
Hause«, erwiderte sie und versuchte zu lächeln. Es fiel ihr schwer, und der
Mund zitterte, aber etwas in ihrem Innern löste sich. »Ihr geht jetzt also zur
Schule?«
»Papa will es so. Merry gefällt
es in der Schule nicht. Sie summt kaum noch.«
»Erzähl mir mehr«, sagte Emma.
»Erzähl mir von der Schule! Und was macht der kleine Jacko – bestimmt ist er
groß geworden! Kann er schon krabbeln? Und erzähl mir ..., erzähl mir von
deinem Papa. Erzähl mir alles!«
Noreen
begann langsam und zögernd zu lächeln, und dann erzählte sie. Merry unterbrach
ihre Schwester mit langem trillernden Summen –, und so schmolzen endlich die
Wintermonate.
Emma
besuchte Brias Grab am nächsten Tag wieder. Die Mädchen warteten auf sie. Von
da an sagte sie den beiden, wann sie kommen würde. Emma fürchtete sich davor,
es dem Zufall zu überlassen oder Merrys Feen.
An einem Tag
im April, als vom Winter nur noch ein paar verwehte Wolken hoch über den Himmel
zogen, brachte Noreen Sardinen und Brot mit. Sie hatten Tee neben Brias Grab,
obwohl es nichts zu trinken gab. An einem Tag im Mai, als die Sonne warm und
weich wie Butter schien und ein sanfter Wind wehte, machten sie einen
Spaziergang und pflückten Wiesenblumen, die sie in einer leeren Tomatendose vor
Brias Grabstein stellten. An diesem Tag glaubte Emma, am Hinterausgang der
einfachen Holzkirche Vater O'Reilly zu sehen. Er kam auf sie zu, aber schien es
sich dann anders zu überlegen, und ging davon.
An einem
besonders schönen Frühlingstag, an dem die ganze Erde zu jubilieren schien, sah Emma eine Frau in einem weißen
Batistkleid mit lockigen roten Haaren und einem lachenden Mund vor einer der
Friedhof-Ulmen stehen. Die Frau schien so wirklich, daß Emma die Hand hob und
ihren Namen rufen wollte, aber im nächsten Augenblick war sie verschwunden.
Als Anfang
Juni die Linden blühten, kam Emma eines Tages zum Friedhof, und die Mädchen
waren nicht
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