Penelope Williamson
daß die Mädchen
Mühe hatten, mit ihr Schritt zu halten. Sie spürte die müden Beine kaum noch,
als sie die steilen Stufen hinaufstieg und die Tür öffnete. Aber die Küche war
leer. Sein Name und das Lächeln, das allein ihm galt, erstarben auf ihren
Lippen. Im Haus roch es nach Kohl und Speck, dem Abendessen vom Vortag. Deshalb
ließ sie die Tür offen, damit die salzige Meeresluft in die Küche dringen
konnte.
Während die Mädchen das
Geschirr abwuschen, legte Bria die Schürze um und machte ihnen Speckbrote.
»So«, sagte sie und stellte die
großen Portionen auf den Tisch. »Da habt ihr etwas Ordentliches zu kauen.«
Noreen
verzog das Gesicht, denn ihre Mutter sagte das an jedem freien
Samstagnachmittag, wenn sie ihnen Brote machte. Aber Bria lachte nur.
Sie
drückte ihr schnell einen Kuß auf das braune Haar. »Warum geht ihr bei dem
schönen Wetter nicht nach draußen? Heute muß man die Sonne genießen.« Sie
drückte sanft die Schulter ihrer Tochter. »Na los, Liebes, nimm dein Brot mit.«
Noreen blickte sehnsüchtig
durch die offene Tür ins Freie. Alte Ängste ließen sie zögern, doch dann nahm
sie ihr Brot in beide Hände und rannte hinaus.
Bria
folgte ihr zur Tür und sah ihr lächelnd nach. Als sie sich einen Augenblick
später nach Merry umdrehte, stellte sie fest, daß die Kleine am Tisch
eingeschlafen war, bevor sie auch nur einen Bissen gegessen hatte. Manchmal
standen die Kinder an den Spinnmaschinen, und ihnen fielen vor Müdigkeit die
Augen zu.
Bria nahm sie auf den Arm und
trug sie in das Schlafzimmer. Das Mädchen war so leicht wie eine Feder. Bria
wurde es wieder schwer ums Herz, als sie in das schmale, erschöpfte und
ausgezehrte Gesicht ihrer kleinen Tochter blickte.
Sie legte
das Kind auf das Bett und deckte es mit den rauhen, aber sauberen Decken aus Sackleinen
zu. Dann schob sie Merrys dichte Locken aus dem Gesicht und küßte sie auf die
Stirn. Morgen, so nahm Bria sich vor, wollte sie mit den Kindern zu einem
richten Picknick an den Strand gehen. Sie würde ihnen als Belohnung ein paar
Süßigkeiten kaufen, auch wenn sie dafür ganze fünf Cents ausgeben mußte.
Morgen ...
Die Verzweiflung schlug
plötzlich über ihr wie eine hohe Welle zusammen. Sie erschauerte unter dem
Ansturm der niederschmetternden Gefühle.
Morgen ...
das war ein großes und trauriges Wort, das jede erdenkliche Hoffnung umfaßte,
ein Wunder bringen und alle Versprechungen einlösen konnte, aber nur, wenn man
sicher war, daß es ein Morgen gab.
Bria hauchte noch einen Kuß auf
die Stirn ihrer Tochter und ging in die Küche zurück. Sie sah das belegte Brot
auf dem abgestoßenen Emailleteller und
dachte, sie sollte es essen. Aber sie hatte in letzter Zeit überhaupt keinen
Appetit mehr. Trotzdem wurde das Kind in ihrem Leib immer größer und schwerer,
während alles andere an ihr aussah wie ein Bündel dürrer Zweige, das eine
Schnur zusammenhielt. Da sie ihre Arbeit verloren hatte, und ihr Mann wieder
auf den Zwiebelfeldern arbeitete, würden sie ohnehin bald nur noch von Möhren,
Rüben und Äpfeln leben müssen.
Aber ihr wurde bereits beim
Geruch des Specks übel. Sie wickelte das belegte Brot in ein Stück Papier und
legte es für später unter die Kuchenhaube.
Bria
wollte frischen Zwieback backen und schüttete deshalb eine Schaufel Kohle in
den bauchigen schwarzen Eisenherd. In Irland hatte sie über dem offenen Feuer
gekocht. Kartoffeln und Rüben kamen in einen großen Topf, der über den Flammen
hing. Es gab zum Feuermachen kein Holz und keine Kohle, aber dafür viel Torf,
den sie direkt vor der Haustür stachen. Nichts roch so unvergleichlich erdig
und süß wie Torf, dachte sie mit einem tiefen Seufzen.
Bria
schüttelte energisch den Kopf und versuchte, die Gedanken an die alte Heimat zu
vertreiben. Es war besser, sie fand sich damit ab, daß sie Irland nie
wiedersehen würde.
Als Bria
nach der Mehldose griff, sah sie durch das Fenster ihre Tochter auf der Erde
kauern. Sie spielte allein mit Steinen. Ein paar Jungen aus der Spinnerei hatte
sich um sie versammelt und sahen bewundernd zu, wie sie vier kleine Steine hoch
in die Luft warf und geschickt auf dem Handrücken wieder auffing.
Bria mußte unwillkürlich
lächeln. Wer hätte gedacht, daß die dünne Noreen mit ihrem spitzen Gesicht und
ihrem schwierigen Wesen für die Jungen eine solche Anziehungskraft besaß?
»Ach du
liebe Zeit!« rief sie verblüfft, denn einer der Jungen bot ihr gerade einen Zug
aus seiner Zigarette an,
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