Penelope Williamson
betroffen. Er nahm
sie in die Arme, und sie preßte das Gesicht an seine schwarze rauhe
Wollsoutane. Dann flossen die Tränen, während er ihr über das Haar strich und
murmelte: »Ist schon gut, ist ja alles gut ...« Aber sie klammerte sich an ihn
wie eine Ertrinkende.
Als Bria
sich schließlich wieder beruhigt hatte, hielt er sie auf Armlänge von sich.
Seine Stimme klang belegt, als er fragte: »Ist alles in Ordnung, Kleines?«
Sie nickte, schniefte und
wischte sich die Nase mit dem Handrücken. »Was werden die Leute sagen? Du gibst
eine so gute Stellung deiner eigenen Schwester?«
»Sie werden sagen, es ist
besser, meine Schwester kommt zu mir ins Haus als eine hübsche junge Frau, die
meine priesterliche Tugend gefährden könnte.«
Sie lachte. Und dann kam der
nächste Hustenanfall. Sie krümmte sich unter der Wucht und suchte verzweifelt
in der Schürzentasche nach ihrem Taschentuch und der Medizin.
Schnell trank
sie die süße klebrige Flüssigkeit, und der Husten ließ allmählich nach. Sie
schob das Fläschchen zusammen mit dem Taschentuch in die Tasche zurück, ehe
ihr Bruder etwas sehen konnte. Aber er hatte sich noch nie täuschen lassen. Er
griff nach ihrem Handgelenk und nahm ihr das Taschentuch aus den kalten
Fingern. Da sah er die Blutflecken – die alten dunklen und die hellroten neuen.
Sie konnte ihm nicht in die
Augen sehen, aber sie hörte an seiner Stimme, was er empfand. »Ach Bria, Bria
...«
Mehr sagte
er nicht, und auch sie schwieg.
Neuntes Kapitel
Bria und
Donagh standen reglos und sahen sich nicht an. Aber die unausgesprochenen Worte
schienen sie wie ein Band aneinander zu fesseln.
Durch die offene Tür hörte sie
mit einem Mal das Fiedeln eines Spielmanns, und ihr wurde klar, daß die Musik
bereits schon eine ganze Weile andauerte. Brias Körper durchlief ein Zucken,
als könne sie sich durch eine Willensanstrengung von den Gedanken lösen, die
sie beide lähmten.
»Hör doch nur!« rief sie
schließlich. »Draußen wird heute abend auf irische Art gefeiert. Jemand spielt
die alten Lieder. Bestimmt wird auch getanzt.«
»Bria ...«
Er
streckte die Hand nach ihr aus, aber sie eilte an ihm vorbei auf die Straße, wo
bereits die gesamte Nachbarschaft zusammenströmte.
Natürlich
waren die irischen Arbeiter aus der Spinnerei da, denn der Spielmann spielte
einen Tanz aus dem ould Land. Aber auch Bravas mischten sich
unter die Menge. Die Bravas waren Portugiesen aus Cape Verde. Sie hatten
kupferbraune Haut, und der Geruch von Gummi hing in ihren Haaren und ihrer
Kleidung, denn sie arbeiteten in der Gummifabrik. Die munteren Töne lockten
sogar die Sumpf-Yankees an, die Einheimischen aus Bristol, die Muscheln und
Krabben sammelten oder auf den Zwiebelfeldern arbeiteten. Sie waren vielleicht
noch ärmer als die Iren.
Die Finger der Spielmanns
glitten schnell und geschmeidig über die Saiten, und bald begannen alle, mit
den Füßen den Takt zu schlagen. Und als Colin, der Barbier, in seinem
safrangelben Kilt mit den lauten und munteren Dudelsackpfeifen aus dem Laden
trat, begann zuerst ein Paar und dann ein zweites zu tanzen. Schnell folgten
andere, alle hakten sich unter und bildeten ein Rechteck.
Bria spürte
die Lippen eines Mannes an ihrem Ohr. Sie lächelte, bevor der Atem seiner Worte
ihre Wange berührte. »Bevor die Sonne untergeht, wirst du mir einen Tanz und
einen Kuß schenken, mo Chridh.«
Lächelnd drehte sie sich um und
musterte langsam den großen Seamus McKenna von Kopf bis Fuß.
»Ich werde dir eine Ohrfeige
geben, du ungehobelter Kerl!« antwortete sie spöttisch.
Er warf den Kopf zurück und
lachte so ungezwungen und herzlich, daß Bria das Blut in den Adern pochte.
Noreen tauchte neben ihrem
Vater auf. Sie griff nach seiner großen Hand. »Tanz nicht mit ihr, Papa, sie
ist schon zu dick, und alle werden euch auslachen.«
Bria stemmte die Hände in die
Hüfte und erwiderte mit gespielter Empörung: »Was, ich bin zu dick?« Sie
nickte. »Vielleicht hast du sogar recht, aber dann mußt du mit dem armen Mann
tanzen, denn seine Fußsohlen brennen schon vom Tanzfieber.«
Shay gab
seiner Tochter keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Er hob sie hoch und
mischte sich mit ihr unter die sich drehenden Tänzer. Bald rötete sich Noreens
Gesicht, und sie strahlte. Bria sah ihnen zu, und ihre Augen glänzten vor
Liebe.
Donagh stand neben ihr und sah
ebenfalls zu. Er schlug mit dem Fuß den Takt und wirbelte dabei eine Staubwolke
auf.
»Dein Seamus hat immer
Weitere Kostenlose Bücher